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Von lebenden
und von eingegossenen
Libellen

Sozialästhetisches Intermezzo

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(Der Vorwurf, zu dem ich in jener Nachbemerkung Stellung beziehe,
kam aus jenem Lager, wo man „viel über Sozialorganik, Sozialästhetik, Oasen der Menschlichkeit redet“.)

Raymond Zoller
Nachbemerkung Oktober 2020
zum zweiten Teil meiner Berichte über
die wilden postsowjetischen neunziger Jahre


Unter anderem wegen der Darstellung, wie infolge des Fehlens eines Rückhaltes die meisten der aufgetauchten Aufgaben und Möglichkeiten nicht weiterverfolgt werden konnten, wurde mir der Vorwurf gemacht:

Ich würde immer nur jammern, immer nur um Hilfe rufen, immer anderen die Schuld geben.

Hierzu sei gesagt: Ich jammere nicht; ruf nicht um Hilfe (wäre absurd, da jede Hilfe zu spät käme: die Sache ist gelaufen); und die Schuldfrage interessiert mich nicht. Ich schildere einfach, was da gewesen ist und welche Aufgaben und Möglichkeiten offensichtlich darauf warteten, aufgegriffen zu werden.

Der Mensch ist ein soziales Wesen und ist mit seinem Tun und Nichttun in eine soziale Umgebung eingebettet. Was selbst – vielleicht auch: besonders – von Menschen, die viel über Sozialorganik, Sozialästhetik, Oasen der Menschlichkeit reden, leicht mal übersehen wird.

Wenn ich mit dem Hammer einen Nagel in die Wand schlage, um ein Bild aufzuhängen, so ist solches mir nur möglich, weil die Wand vorher von anderen aufgerichtet, der Hammer, der Nagel und das Bild von irgendwem produziert wurden. – Wenn jemand ins Wasser gefallen ist und im Begriff ist zu ertrinken, so hängt sein weiteres irdisches Dasein von Tun oder Nichttun der sozialen Umgebung ab. – Oder, um ein extremes Beispiel zu bringen: Die Mitglieder jener "Weißen Rose“, die sich gegen das widermenschliche Naziregime auflehnten, wären bei entsprechendem Rückhalt vielleicht nicht hingerichtet worden. Doch statt ihnen Rückhalt zu bieten, halfen die in der öffentlichen Meinung wohlig eingelullten braven Bürgersleut‘, diese Spinner zu jagen (und konnten sich dann später, als die öffentliche Meinung sich geändert hatte, an nichts mehr erinnern).

Eben: der Mensch lebt in einem sozialen Zusammenhang.

Nun gut. Bei dem Tun, welches ich da so ansatzweise entwickelte und bei entsprechendem Rückhalt weiter hätte entwickeln können, handelte es sich keineswegs um einen privaten Spleen, um ein privates Hobby; außer mir selbst hätten in verschiedenster Weise und in erster Linie auch andere davon profitiert: eine gewisse soziale Entwicklung war unübersehbar veranlagt. Wer auch immer von Sozialorganik redet und dabei weiß, wovon er redet, dürfte det bei der Lektüre verstehen.

Als mangels Rückhalts alles zusammenkrachte, hatte ich in dieser aus dem Rahmen des Üblichen herausfallenden Situation rein für mich einiges an Problemen zu bewältigen. Ich überstand das entstandene Chaos und bin, rein privat, daran gewachsen. Und hab, unter anderem, auch gelernt zu unterscheiden zwischen eitelkeitsgetragenem klugem Gerede und verstehendem Sein

Ich geb niemandem die Schuld; ich schildere nur, was gewesen ist sowie die Ansätze, die aufgegriffen werden wollten.

Wer aber ungebrochen der Meinung ist, daß ich nur jammere, um Hilfe rufe, anderen die Schuld gebe – bitte sehr; ein jeder hat das Recht, seine Meinung zu haben.

Fortsetzung in klamurkischen ZeitenSpätfolgen gemeinsamen gedanklichen Bemühens

Raymond Zoller