Die Klamurke Belletristik

Nachbars Katze, Hund und Frau und drei Matratzen

Hürgokhs Großvater fiel häufig vom Dachboden in den Keller.

Zum Glück war das Haus nicht sehr hoch; und weil das Haus nicht sehr hoch war, fiel er nicht sehr tief. Günstig war auch, daß es im ganzen Hause nur eine einzige Stelle gab, wo man direkt vom Dachboden in den Keller durchfallen konnte; und genau an dieser Stelle hatte man im Keller drei Matratzen aufeinandergelegt; und da fiel Hürgokhs Großvater, wenn er vom Dachboden in den Keller fiel, immer drauf. – Einmal hatte die Katze des Nachbarn sich auf die Matratzen zum Schlafen hingelegt; und als der Großvater herunterfiel, drückte er sie platt. Der Nachbar kaufte sich dann einen Hund; und auch der Hund wäre um ein Haar plattgedrückt worden. Denn Hunde lieben es, genau wie die Katzen, ihren Schlafplatz auf weichem Untergrund zu wählen; und drei aufeinanderliegende Matratzen sind in der Tat ganz schön weich. Deshalb wählte der Hund häufig die drei Matratzen als Schlafplatz. – Einmal kam Hürgokh zufällig vorbei, wie der Hund von der Matratze aufstand, gähnte, sich streckte und heruntersprang; und kaum war er heruntergesprungen, da kam auch schon der Großvater gefallen. Der Hund bekam einen furchtbaren Schrecken und rannte jaulend davon. Wäre er nur ein paar Sekunden länger auf den Matratzen geblieben, so wäre er, gleich der Katze, von Hürgokhs Großvater plattgedrückt worden. Aber er hatte seitdem panische Angst vor jenem Orte und legte sich nie wieder auf die Matratzen zum Schlafen.

Als Hürgokh sechzehn war, bekam sein Großvater einen Rollstuhl. Denn da war er schon sehr alt, und durch das viele Herunterfallen waren seine Beine und sein Rücken ganz arg mitgenommen; weswegen er Probleme hatte mit der Fortbewegung.

Da es schwierig schien, mit einem Rollstuhl auf den Dachboden zu klettern, war folglich kaum noch damit zu rechnen, daß der Großvater vom Dachboden in den Keller fällt; was Hürgokh sehr gelegen kam. Denn da war er, wie gesagt, schon sechzehn und sah für die Matratzen eine seinem Alter entsprechende neue Verwendungsmöglichkeit. – Einstens, nachdem er sich mit der sehr jungen dritten oder vierten Frau des nicht mehr ganz so jungen Nachbarn auf den Matratzen zur Genüge vergnügt hatte und beide das Lager eben verlassen hatten – da rumpelte es plötzlich ganz entsetzlich; und dann fiel ein Rollstuhl herunter auf die Matratzen und hinterdrein der Großvater. – Wie es möglich war, daß der Großvater mit dem Rollstuhl auf den Dachboden hochkam, blieb ein Rätsel; zweifellos sicher aber war, daß er mitsamt Rollstuhl auf Hürgokh und seine nachbarliche Gespielin draufgefallen wäre, wenn sie nicht rechtzeitig die Matratzen verlassen hätten.

Ob der Großvater dann noch häufig auf die Matratzen fiel, wußte Hürgokh nicht, da der Nachbar kurz darauf von seiner Firma für längere Zeit nach Südamerika in den Außendienst abkommandiert wurde und er sich somit mit dessen Frau in deren Haus treffen konnte.




© Raymond Zoller
Zur russischen Fassung





Diesen Text findet man, neben vielen anderen, in dem Taschenbuch

Raymond Zoller

Wie ich den König vom Pferd schubste

und sonstiges Episodisches

RaBaKa-Publishing, Edition Ivata
Erscheinungstermin: Juni 2013
Preis: 16,90 €
Seitenzahl: 196
ISBN: 978-3-940185-25-9


[Sollte der vom Pferde geschubste König über den Buchhandel nicht mehr erhältlich sein, so kann man es über den
Vertrieb des Seminar-Verlags
versuchen. Auf der durch das Link angesteuerten Seite ganz nach unten scrollen; dort findet man ihn]

Die Erzählungen kennzeichnet eine für Zoller typische inhaltliche Unernsthaftigkeit, kombiniert mit einer streng durchgestalteten Form. Die Szenen und Orte der Erzählungen reichen hinein ins Reich des Fantastischen; aber auch ganz normale Alltagsszenen weiß der Autor ins Absurde zu führen. Seine Protagonisten verhalten sich so, wie es nach Ansicht Zollers nicht allein Romanfiguren gut stände, sondern auch dem regelkonformen „Zivilisationisten“.

(Erika Reglin-Hormann)

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