Die Klamurke Belletristik

Am Hofe von König Eduard

König Eduard hatte sieben Hofnarren und drei Hofnärrinnen. Von den Hofnarren waren dreie sehr dick und dreie sehr dünn; und in jeder Sparte gab es jeweils einen, der hinkte, einen, der schielte und einen, der stotterte. Der siebte war weder besonders dick noch besonders dünn; doch dafür hinkte, schielte und stotterte er gleichzeitig. Er hieß Erwin. Die Hofnärrinnen waren alle schlank, und keine von ihnen schielte, stotterte oder hinkte. Die erste, Lina, hatte langes blondes Haar, die zweite hieß Rita und war schwarzhaarig, und die dritte hieß mal Silvia, mal Susanne und konnte je nach Umständen die verschiedensten Haarfarben annehmen. Außerdem hatte Silvia oder Susanne die ganz besondere Eigenart, daß sie außer in der Phantasie von König Eduard nirgendwo existent war.

Herrschen und Regieren waren für König Eduard Dinge, von denen er nicht viel verstand und denen er auch weiter keine Bedeutung beimaß; und er fand, daß es im Leben Wichtigeres gibt und Interessanteres als solche Tätigkeiten. Die Dinge laufen, wie sie laufen; was soll man sich da groß einmischen! Die Herrscherei hatte er irgendwelchen Ministern übertragen, die ihn anfangs noch mit komplizierten Rapporten oder gar Fragen belästigten; doch hatte er ihnen das abgewöhnt und die Hartnäckigsten, die es nicht lassen wollten, durch fähigere und ergebenere ersetzt. Wenn König Eduard aus den Fenstern seines Palastes schaute, sah er ringsum andere Paläste, die untereinander an Pracht und Größe wetteiferten und selbst seinen eigenen Palast an Glanz übertrafen. Wie man ihm sagte, gehörten diese Paläste, die alle in den Jahren nach seiner Thronbesteigung errichtet wurden, seinen Ministern und leitenden Beamten. In diesen Palästen sah König Eduard, dem Gefühle wie Neid und Mißgunst fremd waren, die Bestätigung für die Richtigkeit seiner Politik. Er verstand, daß das Land auch ohne ihn sich ganz gut entwickelt und daß die Minister und Beamten, wenn sie sich solche Paläste errichten können, sicher sehr tüchtig sind und ihren Aufgaben auch ohne Rapporte und Berichte gerecht werden.

König Eduard verbrachte seine Zeit meistens im Bette, wo er Kriminal- und Abenteuerromane las und sich von seinen Hofnärrinnen unterhalten ließ. Die Hofnarren hatten zwar dauernd Bereitschaftsdienst; doch ließ er sie nur selten rufen. Die Narren langweilten sich, stritten sich untereinander oder prügelten sich; doch König Eduard merkte nichts von alledem. Josef, der dünne Hinkende, beschummelte regelmäßig den dicken Stotternden, Ot-to mit Namen, beim Kartenspiel, wurde von diesem verprügelt, und lag daraufhin drei Tage im Bett. Am vierten Tage stand er auf und nahm sich vor, nie wieder Karten zu spielen, am fünften Tage spielte er wieder Karten und nahm sich vor, nie wieder zu schummeln. Am sechsten Tage schummelte er und schwor sich, sich nie wieder erwischen zu lassen; und am siebten Tage wurde er erwischt, verprügelt und legte sich ins Bett. Der Tag, an dem er erwischt und verprügelt wurde, war seit jeher der Donnerstag. König Eduard merkte nichts davon, daß sein Hofnarr Josef drei Siebtel der Zeit verprügelt im Bette lag; denn wie sollte er das auch merken, wenn er ihn so gut wie nie rufen ließ. Ab und zu befahl er den Ot-to und seinen dünnen Kollegen, den Em-m-m-mil, in seine Gemächer und ließ sie sich über das Wetter oder sonstwas Interessantes unterhalten; doch waren solche Einsätze immer nur kurz, da er es als ermüdend empfand, solchen Gesprächen zuzuhören. Einmal mußte die Hofnärrin Susanne in Gegenwart der beiden sich ausziehen, damit sie ihre Vorzüge begutachten; doch warf das gleich zu Anfang unüberwindliche Probleme auf, da sie sich über die Haarfarbe nicht einigen konnten. König Eduard ließ sie mit Schimpf und Schande hinausjagen und drohte, sie im Wiederholungsfall an den Pranger zu stellen. Vermutlich hatte er an dem Tag nur schlechte Laune und wollte sich abreagieren; sonst hätte er statt der wechselhaften dritten Hofnärrin für eine solche Aktion sicher Lina oder Rita genommen.

Als König Eduard starb, zogen seine Hofnarren hinaus in die Welt. Lina und Rita fanden Verwendung als Mätressen bei irgendwelchen Ministern; und Silvia oder Susanne hörte auf zu existieren.

Was aus seinem Reich wurde, wissen wir nicht; aber irgendwas wird im Weiteren wohl gewesen sein….

© Raymond Zoller

Zur russischen Fassung

Zwischenfliege






Diesen Text findet man, neben vielen anderen, in dem Taschenbuch

Raymond Zoller

Wie ich den König vom Pferd schubste

und sonstiges Episodisches

RaBaKa-Publishing, Edition Ivata
Erscheinungstermin: Juni 2013
Preis: 16,90 €
Seitenzahl: 196
ISBN: 978-3-940185-25-9


[Sollte der vom Pferde geschubste König über den Buchhandel nicht mehr erhältlich sein, so kann man es über den
Vertrieb des Seminar-Verlags
versuchen. Auf der durch das Link angesteuerten Seite ganz nach unten scrollen; dort findet man ihn]

Die Erzählungen kennzeichnet eine für Zoller typische inhaltliche Unernsthaftigkeit, kombiniert mit einer streng durchgestalteten Form. Die Szenen und Orte der Erzählungen reichen hinein ins Reich des Fantastischen; aber auch ganz normale Alltagsszenen weiß der Autor ins Absurde zu führen. Seine Protagonisten verhalten sich so, wie es nach Ansicht Zollers nicht allein Romanfiguren gut stände, sondern auch dem regelkonformen „Zivilisationisten“.

(Erika Reglin-Hormann)

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