Die Klamurke Belletristik

Silvia in der Wanne

Neben dem Stuhl, auf dem Silvia saß und las, stand eine Wanne mit Wasser.

Warum dort jene Wanne stand und warum Wasser drin war, weiß ich nicht; aber sie stand direkt neben dem Stuhl, auf dem Silvia saß und las, und es war Wasser drin.

Als ich den Stuhl umschubste, fiel Silvia hinein.

Das Buch, darin sie gelesen hatte, flog, während sie fiel, in hohem Bogen auf den Tisch und warf dort eine Blumenvase um mit fünf Tulpen drin. Die Vase fiel um, die Tulpen fielen heraus, und das Wasser aus der Vase ergoß sich über den Tisch. Mit einer Ecke über die Tischkante hinausragend und aufgeschlagen auf den Seiten 265/66 blieb das Buch liegen, umspült von dem Wasser der Vase und geschmückt mit zwei roten Tulpen. Und an den Punkten, an denen sich die Kanten des Buches mit der Tischkante schnitten, lief in zwei zarten Rinnsalen das Wasser nach unten auf den Teppich.

Doch auch ohne diese unermüdlich nach unten rinnenden Rinnsale war der Teppich bereits außerordentlich naß; denn als Silvia in die Wanne fiel, hatte es ganz furchtbar gespritzt, und alles Wasser, welches dabei die Wanne verlassen hatte, hatte sich über den Teppich ergossen.

Auch Silvia selbst war sehr naß. Mit angezogenen Beinen und über den Knien gefalteten Händen saß sie in der Wanne und schaute vorwurfsvoll zu mir hoch.

"Warum hast du mich in die Wanne geschubst?" – fragte sie.

"Ich weiß nicht, warum ich dich in die Wanne geschubst habe", – antwortete ich. – "Es lag mir fern, solches zu tun. Den Stuhl umzuschubsen drängte es mich; wennauch aus Gründen, die sich meiner Einsicht entziehen. Mein ganzes Sinnen galt dem Stuhl. Ein böses Schicksal aber wollte es, daß genau zu diesem Momente Du auf diesem Stuhle drauf saßest und daß gleichzeitig an seiner Seite eine Wanne mit Wasser stand. Auf solche Weise ergab es sich, daß eine Tat, die einzig und allein dem Stuhle galt, sich derart augenfällig auf deine Ortsbefindlichkeit auswirkte und zudem noch dazu führte, daß du naß wurdest."

Also sprach ich zu Silvia, nachdem ich sie in die Wanne geschubst hatte.

Sie bat mich, den Raum zu verlassen, aufdaß sie unbehelligt von meinen Blicken sich ihrer nassen Sachen entledigen und sich umziehen könne. Diese Bitte gewährte ich ihr; und wie ich dann wieder eintreten wollte, da machte sie nicht mehr auf. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen.

Ob sie mir am Ende die Sache gar nachträgt?

Zur russischen Fassung
© Raymond Zoller





Diesen Text findet man, neben vielen anderen, in dem Taschenbuch

Raymond Zoller

Wie ich den König vom Pferd schubste

und sonstiges Episodisches

RaBaKa-Publishing, Edition Ivata
Erscheinungstermin: Juni 2013
Preis: 16,90 €
Seitenzahl: 196
ISBN: 978-3-940185-25-9


[Sollte der vom Pferde geschubste König über den Buchhandel nicht mehr erhältlich sein, so kann man es über den
Vertrieb des Seminar-Verlags
versuchen. Auf der durch das Link angesteuerten Seite ganz nach unten scrollen; dort findet man ihn]

Die Erzählungen kennzeichnet eine für Zoller typische inhaltliche Unernsthaftigkeit, kombiniert mit einer streng durchgestalteten Form. Die Szenen und Orte der Erzählungen reichen hinein ins Reich des Fantastischen; aber auch ganz normale Alltagsszenen weiß der Autor ins Absurde zu führen. Seine Protagonisten verhalten sich so, wie es nach Ansicht Zollers nicht allein Romanfiguren gut stände, sondern auch dem regelkonformen „Zivilisationisten“.

(Erika Reglin-Hormann)

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