Die Klamurke Sprachliches

Kasusgebrauch
im Deutschen und im Russischen

Niedergeschrieben und zusammengestellt im Zusammenhang mit den hier veröffentlichten Materialien für das Russischstudium.

Der unterschiedliche Kasusgebrauch über verschiedene Sprachen hin – „ein und das gleiche“ regiert im Deutschen den Dativ, im Russischen den Akkusativ, in einer weiteren Sprache wieder was anderes – kann zunächst verwirrend wirken. Aber es wirkt nur so lange verwirrend, als man dem weit verbreiteten Vorurteil auf den Leim geht, als seien Worte, die in Wörterbüchern als „einander entsprechend“ angegeben sind, mit einer und der gleichen Begrifflichkeit verbunden. Dies ist bei näherem Hinsehen nun mal nicht der Fall (weswegen ich weiter oben „ein und das gleiche“ auch in Gänsefüßchen setzte); und wenn man die Sache nicht äußerlich, formalistisch, sondern von der begrifflichen Seite her nimmt, hat man es zwar immer noch mit einem Problem zu tun, aber immerhin mit einem solchen, das sich in eigener Erkenntnisaktivität lösen läßt; und wenn man solchen Weg mal eingeschlagen hat, wird es im Weiteren immer einfacher und übersichtlicher, und das Stolpern über „Willkürlichkeiten“ der Rektion, des Kasusgebrauchs, fällt weg.

Zunächst werd ich während des Textekommentierens und sonstwie angetroffene Problembeispiele behandeln und im Weiteren das dann so nach und nach systematisieren.

Благодарить кого; annähernd vergleichbarer deutscher Ausdruck: Jemandem danken (mit Dativ also). Das russische Verb благодарить regiert den Akkusativ, umfaßt gewissermaßen das Objekt als ganzes. Bekommt man vielleicht klein wenig griffiger, wenn man es im Deutschen – behelfsmäßig – wiedergibt mit dem Ausdruck „jemanden mit Dank umfassen“. Ähnliches haben wir ja auch etwa mit dem französischen Verb „remercier“ mit seinem „complément direct“ (was bei den nicht flektierenden Sprachen dem Akkusativ entspricht)

Звонить кому (Dativ) – Jemanden anrufen (Akkusativ)

Das russische Verb звонить entspricht am ehesten dem deutschen Verb „klingeln“ oder „läuten“ (звонок die Klingel, das Klingelzeichen). Im Deutschen würde man ja auch nicht sagen „ich habe dich geklingelt“, sondern „ich habe dir geklingelt“, „ich habe bei dir angeläutet“.

Im Russischen spricht man also von dem Klingelsignal, das man jemandem gibt, wenn man telefoniert, während man im Deutschen ein Kompositum von „rufen“ nimmt: anrufen; und sowohl rufen wie auch anrufen regieren ganz selbstverständlich den Akkusativ (wie auch im Russischen etwa das Verb «звать» - rufen und ähnlich gelagerte Verben – окликнуть usw… - den Akkusativ regieren). Als es noch kein Telefon gab, gab es trotzdem bereits das Verb „anrufen“; und dieses Verb wurde etwa dann verwendet, wenn man jemanden auf der Straße sah und, eben, ihn anrief. (Я окликнул его – ich rief ihn an; im Russischen wie im Deutschen ganz normal Akkusativ; nur daß im Russischen das Verb окликнуть nur für direkt mündliche und nicht telefonische Anrufe Verwendung findet)

Und dann sei daran erinnert, daß das deutsche Verb „telefonieren“ den Dativ regiert: Ich telefoniere ihm.

Das Lehnwort „telefonieren“ hat eine andere Bedeutung als das deutsche Wort „anrufen“: Ein Hantieren mit der technischen Einrichtung „Telefon“, welches per Dativ auf den Angerufenen bezogen wird. Mit der Aussage „ich telefoniere ihn“ würde ich zum Ausdruck bringen, daß ich ihn selbst einem solchen Hantieren unterziehe (wie immer das auch aussehen mag).

(beim Akkusativ wird ja gewissermaßen das Objekt „als Ganzes“ erfaßt, während der Dativ nur bis zu seiner äußeren Grenze geht, nur die Richtung anzeigt)

Raymond Zoller