Die Klamurke

April - Mai 2010

Aktueller Schreibtisch
Kaputtes
Rittergut Struppen
Kischinau
 

Samstag 3. April, Tbilissi

Nach Abreise aus Odessa über verschiedene Umwege im fast schon heimatlichen Tbilissi im vertrauten Freundeskreis gelandet. Stürzte mich sofort in die – bereits angelaufene – Arbeit. Literarische Arbeit, teilweise organisatorische Arbeit. Filmisches. Auf Dinge, die nicht mein Metier sind, laß ich mich nicht mehr ein; bringt nix. Das einzige was ich kann ist: Schreiben. Entweder ich komme (wir kommen) damit auf die Beine, oder ich geh (wir gehen) vor die Hunde. Und wenn schon vor die Hunde gehen – dann besser auf eigenen Wegen beim Bemühen, sich sinnvoll einzubringen.

Da es mit der Finanzierung des Anlaufs nicht ganz so klappte wie vorgesehen, kam vor kurzem die Arbeit – vermutlich nur vorübergehend – ins Stocken. Suchen nach Auswegen und arbeiten, so gut es geht.

Läuft, wie anders sowieso nicht möglich, alles in Russisch. Meine Belletristik hab ich auf Russisch umgestellt; bin unter anderem damit beschäftigt, zu bereits in Deutsch behandelten Themen russische Variationen zu schreiben.

Dafür entfalte ich mehr in publizistischer Richtung vor allem in letzter Zeit vor allem im klamurkischen Blog für mich selbst unerwartet verhältnismäßig starke deutschsprachige Aktivität.

Wenn ich mir dabei so über die Schulter zugucke, fällt mir auf: eine zunehmend griffiger werdende Abrechnung mit der europäischen Psychopathologie, an der ich seit vielen Jahren diffus herumkaue. Das wird mir nun alles deutlicher, verständlicher; und sogar meine Sprache verändert sich bei diesem Lichten des Nebels; wird – wie mir auffällt – klarer, prägnanter.

Für wen schreib ich det eigentlich? In erster Linie wohl für mich selbst: Ausformulieren hilft, die Nebel zu lichten. Und natürlich für diejenigen, die sich in diesen Leichenwüsteneien aus äußeren wie inneren Zwängen, abgestorbenen Programmen und leerem Gefasel noch ein Fünkchen Leben bewahrt haben, das sich entfalten will.

Gestern überlegte ich mir: warum ich das alles denn nicht in Russisch schreibe; und, als hätte man sich verabredet, wurde mir ein paar Stunden später die gleiche Frage von Jemal nochmal gestellt. – Bei letzterem Gespräch wurde mir dann deutlich: Daß ich diese abschließende Abrechnung unbedingt in Deutsch führen muß; und auch ins Russische werde ich das nicht übersetzen; in Russisch werd ich vermutlich später darüber schreiben, wenn das alles abgeschlossen ist; und das könnte dann hinwiederum für eine Übersetzung ins Deutsche uninteressant sein.

So weit mal dies.

Fortsetzung folgt vermutlich bei Gelegenheit.

Sonntag, 4. April 2010, Tbilissi

Weiter schon gleich am folgenden Tag:

In dem gestrigen Eintrag schrieb ich: daß Schreiben das einzige ist, was ich kann.

In meinem Xing-Profil steht dann noch:

„Erfahrung im Bewußtmachen eigener wie fremder Anliegen und deren Ausformulieren in Deutsch oder Russisch, - Erfahrung im Zurechtdenken eigener wie fremder verbogener Gedankenkonstrukte“

Und zusätzlich erwähnt sei noch das, fast schon selbstverständliche, „Studium der Phänomenologie des geistig-seelischen Erstickens“

All dies zusammen dürfte so ungefähr mein Fähigkeitsspektrum umreißen.

***

Von meinen Odesser Bekannten – die mit der Gastgewerbe-Schule – mußte ich mich wegen deren sich verstärkenden und nicht abstellbaren Intrigen gegen meine Freunde und auch – was mir infolge übertriebener Vertrauensseligkeit erst ganz zum Schluß aufgefallen war – wegen Unehrlichkeit in mehr materiellen Dingen endgültig trennen.

Selbige lebten eigentlich aus meiner Formulierungskunst.

In ihrem Ansatz und in ihrem Umgang mit ihren Studenten hatte ich einen entwicklungsfähigen, über das eng Gastgewerbliche hinausgehenden Ansatz entdeckt; und den arbeitete ich im Gespräch mit ihnen weiter heraus und ließ das dann auch in eine Art Programm einfließen.

Daß dieser Ansatz bloß mein Hirngespinst war – glaube ich nicht; der war tatsächlich vorhanden und hätte, wären nicht gleichzeitig daneben weniger entwicklungsfähige und dafür umso mehr zerstörerische Tendenzen unkontrollierbar ins Kraut geschossen, in die verschiedensten Richtungen hin weiterentwickelt werden können.

Die von mir aufgezeigten und ausformulierten, später auch auf einer Netzpräsenz anfänglich dargestellten Entwicklungsmöglichkeiten gefielen ihnen sehr; und sie wurden darüber sogar leicht größenwahnsinnig. Und eben dieser Größenwahn befruchtete die zerstörerischen Tendenzen und ließ sie ins Kraut schießen; und ich, der ich diese fatalen Abläufe doch irgendwie überschaute und die Entwicklungsmöglichkeiten mitsamt den ihnen widerstrebenden Problemen sah – war damit ganz alleine und konnte nicht gegensteuern.

***

Erste Ansätze von Zweifel und Zerwürfnis meinerseits hatten nichts zu tun mit den erst später aufgebrochenen zerstörerischen Tendenzen, sondern eben: mit Formulierungskunst.

Es begann mit dem Xing-Profil. Zwecks Erweiterung der Kontakte und Möglichkeiten hatte ich ihnen geholfen, sich auf der Geschäftsplattform „Xing“ zu installieren. Das von ihnen veröffentlichte Profil war so wirr und so daneben, daß verschiedene Bekannte, die wußten, daß ich mit den beiden zu tun habe, nachfragten: mit wem ich mich denn da eingelassen habe?

Nun gut. So ein Xing-Profil lebt sowieso mehr aus stichwortartigem Umreißen: ich half ihnen dann, die Komismen zu entfernen und die Sache einigermaßen stimmig zu gestalten.

Etwas später erstellten sie dann ein Programm und schickten es mir: damit ich, falls ich es für nötig finde, dies oder jenes noch hinzufüge.

Und dieses „ausformulierte Programm“ war dann ein solch wirres in wirrstem Russisch verfaßtes Abrakadabra, daß ich keine Ahnung hatte, was man da wo hätte hinzufügen können; dafür kamen mir erste Zweifel: ob es denn überhaupt möglich ist, mit solchen Leuten gemeinsam etwas zu entwickeln?

Ich wußte mir keinen Rat und ging zu ihnen nach Hause, um mich mit ihnen über dieses „Programm“ zu unterhalten. Sie bemerkten meine Verunsicherung und sagten, sie hätten das nicht selbst so geschrieben, sondern einem ihrer Studenten als Aufgabe übertragen; das sei alles von ihm, und sie hätten es nicht durchgelesen. Ich war nicht sicher, ob das so stimmte, fragte aber weiter nicht mehr nach.

Nun gut: ich schrieb das dann selbst; und alles, was dann im Weiteren verfaßt wurde, stammt, eben, von mir…. Sie selbst konnten das nicht. Aber dafür hatten sie tatsächlich ein gewisses Gespür für die seelische und soziale Problematik ihrer Studenten und förderten sie unabhängig von dem engeren Rahmen der Gastgewerbeangelegenheiten.

Eben diese reale Tendenz arbeitete ich heraus; und indem ich das ausformulierte, wurde die betreffende Entwicklung einerseits gefördert, wurde zusehends stärker; andererseits aber entwickelte sich auch ein gewisser Größenwahn, durch den veranlagte zerstörerische Tendenzen verstärkt wurden.

Hätte ich einen gewissen Rückhalt gehabt, so hätte ich gegensteuern können. Aber ich konnte nicht gegensteuern, da ich keinen Rückhalt hatte und alleine war.

Ob ich durch diese meine Fähigkeit, „Anliegen bewußt zu machen und auszuformulieren“, mehr Schaden in die Welt gebracht habe oder mehr Nutzen – weiß ich nicht. Die Frage iss ja an sich müßig. Hätte ich den Rückhalt gehabt, die Sache weiterzuentwickeln und die zerstörerischen Tendenzen dabei in Schach zu halten – hätte sich da ein durchaus interessantes Schulprojekt entwickelt, mit dem ich auch weiter locker hätte zusammenarbeiten können.

Ich hab getan, was ich konnte. Und mehr konnte ich nicht.

Eben.

Prost.

Freitag, 21. Mai 2010, Tiflis

Noch ein paar oder auch mehr Zeilen.

Ob ich will oder nicht; aber das Hauptgewicht liegt auf der Schreiberei. Und da ich so oder so Tag für Tag selbiger Tätigkeit nachgehe, hab ich vor kurzem die klamurkische „Werkstattecke“ wieder entfernt; nur die Eingangsseite ist noch übrig[1]. Diese Ecke, wo ich verschiedene schon halbwegs vorzeigbare Skizzen veröffentlichte, hatte ich zur Disziplinierung meiner Schreibtätigkeit angelegt. Inzwischen sorgen die Umstände für solche Disziplinierung.

Der Wechsel von meiner ersten Muttersprache Deutsch zu meiner zweiten Muttersprache Russisch ist vollzogen. Belletristik schreibe ich in Deutsch keine mehr; und auch um die in dieser Sprache angefangenen Entwürfe kümmere ich mich kaum noch. Essayistik im Weiteren vermutlich in zwei Sprachen; derzeit das eine wie das andere: sehr wenig.

Absurderweise kommt nun noch eine dritte Sprache hinzu, die ich fast überhaupt nicht kann. Georgisch nämlich. Eine Reihe Texte von mir sind bereits in diese Sprache übersetzt. Von Leuten, denen ich zutraue, daß sie die stilistischen Feinheiten treffen und die, wie ich weiß, alles gründlich machen. Die Resultate ihrer Arbeit zu überprüfen ist mir nicht möglich.

Im Verlaufe der letzten Wochen und Monate wurden unsere Kreise durch verschiedene sie bereichernde Persönlichkeiten erweitert. Genannt sei Merab. Merab ist Professor am Theaterinstitut; betreibt eine eigene Schauspieltruppe. Er möchte eine einige meiner Sachen für die Bühne zurechtmachen. In Georgisch natürlich.

Merab hat – da dies zu seinen beruflichen Belangen gehört – in russischer Übersetzung Erzeugnisse der zeitgenössischen deutschen Literatur gelesen und wundert sich, daß ich da nicht dabei bin. Er meint, ich sei besser. – Ob ich besser bin, kann ich nicht beurteilen, da ich kaum was gelesen habe (das wenige, was ich las, schien mir so uninteressant, daß ich es bleiben ließ, noch mehr zu lesen; aber das bedeutet ja nicht, daß es nicht auch besseres gibt). Zudem ist zu berücksichtigen, daß er die betreffenden deutschen Autoren durch das Prisma der Übersetzung gelesen hat. Bei mir fällt das weg, da ich meine Sachen selbst ins Russische übersetze bzw. in Russisch schreibe und dadurch die Stilistik voll unter Kontrolle habe. – All dies gilt es zu berücksichtigen; nichtsdestotrotz ist nicht zu übersehen, daß der deutschsprachige Kulturbetrieb in einer Sackgasse steckt, in der kaum noch Brauchbares zustandekommen kann. Ich erklärte ihm die Mechanismen, nach denen dieser Literaturbetrieb, Kulturbetrieb funktioniert und welche auch die zu ihnen passenden Literaten, Kulturschaffenden produzieren. Er konnte das einigermaßen verstehen, weil das so langsam auch hier rüberschwappt (die sowjetischen Mechanismen funktionierten etwas anders; die waren zwar totalitärer, konnten dafür aber nicht so total alles kaputtmachen). Ich erklärte ihm, daß es hier nicht um die Frage „besser oder nicht besser“ geht, sondern um die Frage „kompatibel oder nicht kompatibel“: ich paß da nicht rein; die Mechanismen sind auf ihre eigenen Produkte eingestellt und können mich gar nicht berücksichtigen; und ich selbst wüßte nicht, was ich mit all dem zu tun haben könnte.

Sowieso hat die Vermurxung der Kultur inzwischen ihre Früchte getragen; die Menschheit ist ratlos, es gibt inzwischen ganz andere Probleme als irgendwelches literarisches Hickehacke, und wir stehen – obwohl viele das offenbar noch nicht wahrhaben wollen – am Abgrund[2].

Was mich selbst, als Teil dieser infolge totaler Verblödung am Abgrund angelangten Menschheit, betrifft: man wurschtelt sich halt durch, so gut und so lang es geht.



1) Nachbemerkung Juli 2012: Auch die Eingangsseite iss inzwischen weg
2) Ich zweifle nicht daran, daß es nicht wenige gibt, die sich über solche Abgrundprophezeiungen lustig machen; wieauch ich nicht daran zweifle, daß selbige in absehbarer Zeit recht blöd aus der Wäsche gucken werden. Wir alle gehen, wie mir scheint, schweren Zeiten entgegen; am schrecklichsten aber wird es diejenigen treffen, die aus behaglichem Tiefschlaf unvermittelt in der rauhen Wirklichkeit landen.
Nachbemerkung Juli 2012: Inzwischen könnte die Zahl derjenigen, die sich darüber lustig machen, klein wenig abgenommen haben. Möchte nicht wissen, wieviele nach weiteren zwei Jahren es noch tun werden. Fürchte, daß nicht sehr viele.
Zurück nach Odessa Nach langer Unterbrechung: weiter nach Montenegro

Raymond Zoller