Die Klamurke Notizen von unterwegs

Juli 2008 - August 2009, Odessa

 

Donnerstag, den 16. Juli 2009, Odessa

Die letzten paar Wochen waren teils mühsam, teils erfrischend; bringen taten sie teils Ansätze zu wichtigen Entscheidungen, teils auch Fassen wichtiger Entscheidungen.

Die Zeit vorher war, unter anderem, geprägt durch diffuses Vortasten in Bereiche, mit denen ich jahrelang, mitunter viele Jahre lang, zu tun hatte; diffuses Vortasten mit anschließendem Rückzieher aufgrund der Gewißheit: daß das nix für mich ist.

Teils völlig nebensächliches Zeugs; aber irgendwie symptomatisch. Das Assoziations-Blaster zum Beispiel. Vom Prinzip her eine erfrischende Sache; in den Zeiten, in denen uns zu leben vergönnt ist, wird es aber schnell sumpfig und unerquicklich. Anfangs versuchte ich, den Sumpf nicht zu beachten; aber auf Dauer ging das nicht; fast schien es, als würde es von Tag zu Tag schlimmer. Brachte, etwas herumrührend, ein paar Leute dazu, mir zum Plausche in voller Pracht ihre Blödheit zu offenbaren (nicht ganz fair; würde sowas heute nicht mehr machen) und zog mich endgültig zurück.

Lustig der Rückzieher von einem Hamburger Kleinverlag, von dem ich plötzlich ein unverlangtes Rundschreiben im Kasten hatte. Ich schrieb zurück, fragte, woher sie meine Adresse haben. Sie wußten es nicht. Aber ich war zufällig guter Laune, hatte nichts dagegen, auch weiterhin ihre mich ansonsten wenig interessierenden Rundschreiben zu erhalten (ein Klick, und weg isses); und in dieser lockeren Stimmung tat ich dann etwas, was ich sonst nie tue: ich bot ihnen ein paar Texte an. Das erste Mal seit mindestens zehn Jahren, daß ich irgendwem Texte anbiete! Ein unerhörtes Ereignis. Kaum war der Brief abgeschickt, war meine gute Laune futsch; ich hatte das Gefühl, irgendwas falsch gemacht zu haben. Und noch stärker wurde das Gefühl, als ich mir das alles gründlicher und genauer anschaute; da verstand ich nämlich: daß ich da aufteufelkommraus nicht reinpasse! Mein Angebot zurückzunehmen schien mir nicht das Richtige, da ich die Leute nicht vor den Kopf stoßen wollte. – Also ließ ich den Dingen ihren Lauf; und dieser Lauf entschied zu meinen Gunsten: nach einiger Zeit erhielt ich eine Absage. Sie hatten also auch gemerkt, daß wir nicht zueinander passen.

Und sonst noch so dieses und jenes von der Art: unbedachtes Vorangehen mit anschließendem Aufmerken: daß det wohl nicht das Wahre ist.

Das mit dem Odesser Service-Da, in dessen Aufbau und Entwicklung ich unvermittelt reingeschlittert bin, entwickelt sich langsam weiter; aber um ihn richtig zum Aufblühen zu bringen muß man ihn in einen größeren Zusammenhang einbinden. Was ich ja versuche; es gab in dieser Richtung auch einige wichtige Begegnungen. Was mir die Sache sympathisch macht ist die zunehmende Tendenz Richtung „Sozialtherapie“ (wenn man det schlagwortartig mal so nennen darf). Später eventuell mehr.

[…]

Und im Moment bin ich nicht einmal sicher, ob ich dieses öffentliche Tagebuch in Deutsch weiterführen werde.

Iss ja im Prinzip auch egal. Für einige Freunde und Bekannte dient es als – wennauch spärlich fließende – Informationsquelle, wo ich mich grad rumtreibe und was ich so mache (und die kann man dann per E-Mail informieren); für mich selbst als Disziplinierungsmaßnahme (doch wenn man, wie es sich jetzt abzeichnet, enger mit gleichgesinnten zusammenarbeitet und die Lebensumstände insgesamt weniger chaotisch werden, läßt diese Disziplinierung sich auch anderswie erreichen); hat also alles seine Ordnung.

So weit mal dies.

Ob es eine Fortsetzung gibt – wird man sehen.

Prost

Mittwoch, 19. August 2009, Odessa

Nun denn doch noch eine Fortsetzung in Deutsch, für deutschsprachige Freunde und solche, die es werden wollen sowie für solche, denen dies oder jenes aus diesen oder jenen Gründen interessant sein könnte.

Eben.

Einiges in allgemeinen Zügen aufdröselnd:

Am 8. Juni kam es, in Zusammenhang mit der sozialen Plattform Xing, zu einer unerwarteten Begegnung. An jenem Abend war nämlich in Odessa ein offizielles Xing-Treffen anberaumt. Xing hatte ich zu dem Zeitpunkt, als reinen Quasselclub, mehr oder weniger abgeschrieben; zu dem Treffen ging ich aufgrund einer zufällig aufgeflammten Laune.

So kam es zu der Freundschaft mit Dirk und Tanja; in der Folge sogar zu einem kurzen Aufflammen von Engagement bei Xing; und in einer von Dirk eröffneten deutsch-ukrainischen Kontakt-Gruppe wurde ich sogar Co-Moderator. Co-Moderator bin ich noch immer; mein Xing-Engagement ist inzwischen aber wieder erloschen.

Das Aufflammen und Wiederverlöschen meines Xing-Engagements war mit interessanten Erkenntnisprozessen verflochten; ich bin nun schon wieder um einiges klüger.

In diesen Xing-Gruppen, vor allem, wenn man Moderator ist, muß man sich ja vorstellen, muß sich äußern; und das alles in einer mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelten geschlossenen Gesellschaft. Smalltalk ist mir nicht nur fremd, sondern unerträglich; wenn ich etwas sage, so sage ich etwas; und da solches sich häufig weitab von den üblichen Schubladen bewegt, wird es in dieser geschlossenen Gesellschaft nun mal in der Regel nicht verstanden oder auch mißverstanden. Daß dem so ist weiß ich schon lange; deshalb halte ich mich normalerweise auch zurück. Nur in der kurzen Zeit meines Aufflammens von Engagement hielt ich mich weniger zurück; versuchte, Bewegung in die Gruppe zu bringen; schrieb einige Leute auch direkt an; was, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, überhaupt nix brachte, außer, eben, der Erkenntnis: daß das so nicht geht.

Inzwischen habe ich also, endlich, verstanden: daß zufällig zusammengewürfelte geschlossene Gesellschaften nicht das sind, wo ich mich sinnvoll einbringen könnte; wenn geschlossene Gesellschaften, so nur mit Leuten, die man gut kennt; und sonst: Völlig offen. Was ich sagen will oder zum Lesen geben will – veröffentliche ich: im Netz, auf Papier; wem es vor Augen kommt und wen es interessiert – den interessiert es, wen es nicht interessiert – der läßt es links liegen.

Sei es in Deutsch, sei es in Russisch…

[…]

Schreiberei und Leben sind bei mir eng miteinander verflochten. Aber das ist im Grunde bei jeder Tätigkeit so, mit der es einem ernst ist. Schicksal halt…

Und nun müssen wir in all diesem Chaos sehen, wie wir uns gemeinsam weiter bewegen.

Wie auf der vorangehenden Seite bereits angemerkt, besteht bei meinen Odesser Bekannten, mit denen ich in Bezug auf ihre Gastgewerbe-Schule zusammenarbeite, die Tendenz, mich auf nicht ganz saubere Weise von meinen Tiflisser Freunden, und vor allem von denjenigen, die mit dem Filmprojekt verbunden sind, zu isolieren. Es gab da sehr unappetitliche Intrigen; doch da ich das alles durchschaut habe, schien mir, als habe ich die Lage, trotz der derzeit nicht ganz stabilen Standfläche, unter Kontrolle. – Um den 20. Juli herum fuhr denn einer dieser Odessiten, Dato, in eigenen Angelegenheiten nach Tbilissi. Und wie sich dann herausstellte: eine seiner ersten Aktionen bestand darin, die Adresse von Goga Tavadse, des Regisseurs also, der den „Drachenfilm“ machen will, ausfindig zu machen, sich mit selbigem zu treffen und bei der Gelegenheit meinen Freund Jemal (der maßgeblich am Zustandekommen dieses Filmprojektes beteiligt war) und meine ihm völlig unbekannte Freundin Elena auf schmutzigste Weise zu verleumden.

Goga informierte Jemal über diese Verleumdungen, Jemal informierte mich, und ich organisierte hier ein Donnerwetter. Ein paar Tage lang war ich mir nicht im Klaren, ob ich überhaupt in Odessa bleiben werde; und statt mich um verschiedene angefangene Dinge zu kümmern, überlegte ich hin und her, wohin ich entfleuchen könnte, und was ich überhaupt weiter tun könnte. Zu tun gäbe es an sich genug; bloß fehlen die Mittel… Es waren stressige Tage. Ich beschloß dann, erst mal hier zu bleiben, die Zusammenarbeit mit jenem „Service Da“ weiter zu berücksichtigen; nur unter ausdrücklicher Ausklammerung der Filmsache, meines georgischen Freundeskreises und meines Privatlebens.

So sind wir denn nun verblieben. Indem sie wieder mal versuchten, mich gegenüber meinen georgischen Freunden abzuschotten, zwangen sie mich nur, mich ihnen selbst gegenüber abzuschotten; und außer dieser Abschottung und unnötiger Verkomplizierung der Lage haben sie mit ihrer Intrige nichts erreicht.

Müßte alles nicht sein. Aber es ist.

Die letzten Wochen waren stressig und unübersichtlich. Und sind es immer noch.

Aber etwas Ordnung konnte ich schaffen.

Ich weiß nun:

Ansonsten steh ich nun vor einer mir Unbehagen verursachenden Reise in einst mehr oder weniger „heimische“ Gefilde, wo ich einiges zu erledigen habe. Zu meiner Beruhigung finden sich immer wieder schwerwiegende Gründe, welche die Reise aufschieben; aber endlos aufschieben kann ich das nun nicht mehr. Laut bisherigen Plänen – anschließend weiter Odessa; es sei denn, es ergibt sich was Besseres.

Man wird sehen.

So weit dieser möglicherweise nun doch allerletzte Eintrag allhier (ob letzter oder nicht letzter – auch dies wird man sehen)

Nach sehr langer Pause: Es geht doch noch weiter.
Fortsetzung, mit Überspringen mehrere Stationen, in Tbilissi
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Raymond Zoller