Die Klamurke Notizen von unterwegs

Zwischenfliege

Rhythmusfetischismus

(aus einem Mitte Dezember 2019 geschriebenen Brief)

Grad eben veröffentlichte Kollege Tirckl-Wolff[1] auf Facebook eines seiner kuriosen Gedichte:

Wenn Kater Pater jagen
singen die Engel in machtvollen Chören,
und Petrus verstopft sich die Ohren

Noch kurioser als das Gedicht ist dessen Vorgeschichte:

Nämlich las ich vorhin, im Rahmen meiner obligatorischen täglichen Steiner-Lektüre, den dritten Vortrag in GA216 "Die Grundimpulse des weltgeschichtlichen Werdens".[2] Es geht da um die geistigen Hintergründe des Hexameters im ollen Griechenland.

Aus unerfindlichen Gründen wurde ich plötzlich hellwach. Gedachte meines eigenen, immer schlimmer werdenden Rhythmusfetischismus.

Im Sprachlichen, Literarischen merk ich sofort, ob der Rhythmus stimmig ist oder nicht; wobei ich nicht sagen könnte, worin diese Stimmigkeit oder Unstimmigkeit begründet ist. Besonders bei Autoren, die durch rhythmische "Echtheit" auffallen, stösst es schmerzhaft auf, wenn sie mal danebenhauen. Erinnerte mich an eine Stelle in Witzenmanns "Tugenden", die mir Probleme bereitete. Erinnerte mich auch, wie ein Sprachgestalter einen meiner rhythmisch gut durchgestalteten Texte las (der "Vesuv" aus dem Rom-Zyklus) und aufzählte, was da für Rhythmen zur Anwendung kommen. Ich wusste das alles nicht und hab es dann auch gleich wieder vergessen.

Suchte dann online nach, was ein Hexameter ist. Landete bei Wikipedia. Sehr viel stand da geschrieben; über irgendwelche Katalektismen, Dihäresen und vieles andere mehr. Ich konnte mich nicht überwinden, das alles zu lesen. Bin schon sehr ungebildet.

Vielleicht doch ganz gut, daß ich weder Sprachgestaltung noch Eurythmie studiert hab. Bleibt nur der wachsende nackte Rhytmusfetischismus mitsamt wachsender Ahnung von Bereichen, wo das alles begründet sein könnte. Vielleicht komm ich da noch ran…

Statt der Theorie nahm ich eines der literarischen Themen, mit denen unser Kollege Tirckl-Wolff sich seit einiger Zeit beschäftigt (paterjagende Kater); und, durch die Wohnung streunend, experimentierte ich im Geiste herum, das Thema abwechseln stimmig und bewusst unstimmig ausgestaltend.

Und irgendwann hatte ich genug, und Kollege Tirckl-Wolff durfte ein neues Werk über paterjagende Kater auf seiner Facebookseite veröffentlichen…


1)Ernst Tirckl-Wolff: In einer meiner Erzählungen agierende Persönlichkeit, welche dank Facebook zu realem Leben erwachte. Zur Zeit hauptsächlich dichtend tätig.

2) Ich bin kein Anthroposoph und werde nie einer sein; aber solche Sachen les ich. Regelmäßig. Find ich echt gut.

Rätselhafte Auswirkungen eines betonten „i“.

Facebook-Diskussion mit unserem Kollegen Ernst Tirckl-Wolff,
seines Zeichens Dichter vom Dienst.

Zwischenfliege

Kollege Tirckl-Wolff hatte auf seiner Facebook-Seite einen versähnlichen Satz veröffentlicht:

Fünf Dackel jagen Onkel Erwin durch die Stube

***

Was ich wie folgt kommentierte: Der Onkel bringt das Lautgemälde durcheinander. Lass ihn weg, und es stimmt:

Fünf Dackel jagen Erwin durch die Stube

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Kollege Tirckl-Wolff meinte dazu: Aber ich find's lustiger, wenn die Dackel einen Onkel jagen

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Als Alternative tippte ich die Version

Fünf Dackel jagen sieben Onkel durch die Stube

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Hierzu Kollege Tirckl-Wolff: Ja, so stimmt es. Aber merkwürdig. Der Rhythmus bleibt gleich, doch es passt

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Meine Erläuterung: Das schwach betonte "o" war im Wege. Das stärker betonte "i" leitet den Strom unbekümmert weiter.

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Kollege Tirckl-Wolff war beleidigt: Im Prinzip hast du Recht. - Doch: bist du hier der Dichter oder ich?

***

Ich tröstete: Du bist der Dichter. Aber keine Sorge - ich versteh auch nix. Ich seh nur, dass dem so ist; aber die Hintergründe sind mir nicht greifbar

In der Tat rätselhaft; und ich kapier nicht, was da genau los ist. Die Wahrnehmung dessen, was in dem lautlich-rhythmischen Gewusel vor sich geht, ist – wenn ich genauer hinhöre – deutlich, wird mir immer deutlicher, und immer stärker der Widerwille gegen Unstimmigkeit; aber die Hintergründe entziehen sich mir, und ich könnte nicht sagen, wo Stimmigkeit und Unstimmigkeit ihre Wurzeln haben.

Raymond Zoller