Die Klamurke Notizen von unterwegs

In Russland Notiertes

Moskau

Anmerkung Januar 2015

Zufällig entdeckte ich vor ein paar Tagen Aufzeichnungen zu einer Reise, die einen langjährigen Aufenthalt in Moskau einläutete.

Hatte gedacht, die seien verschütt gegangen. Sind sie aber nicht.

Irgendwie interessante Illustration zu der auslaufenden Sowjetzeit und anlaufenden Postsowjetzeit, den wilden neunziger Jahren also, wie man diese Periode unter Russen zu nennen pflegt. Aus welchen Gründen ich das nun stückweise veröffentliche.

Der äußere Anlaß für die Reise hatte damit zu tun, daß ich für das deutsche Diakonische Werk aus Gefälligkeit eine Fracht mit Hilfsgütern nach Wolgograd begleitete, um anschließend nach Moskau weiterzufliegen, wo ich, gleichfalls für das Diakonische Werk, einiges abzuklären hatte. Den Flug nach Wolgograd absolvierte ich in einer alten Antonov-Transportmaschine ab Berlin-Sperenberg, dem damals noch sowjetischen Militärflughafen auf damals schon ehemaligem DDR-Gebiet.

Der Aufenthalt in Wolgograd dauerte länger als vorgesehen; aber am 25. Dezember ging es dann doch – schon nicht mehr in einem Militär-Transporter, sondern in einem normalen Passagierflugzeug – weiter nach Moskau.

Im Weiteren verstreute Notizen zu jenem Moskauaufenthalt:

Donnerstag, den 27. Dezember 1990

Am Vormittag telefonierte ich mich Sascha Segen vom Современник[1]; verabredeten uns auf 12 Uhr in der Redaktion.

Fuhr hin. Zuerst Gespräch mit Segen; er fand die Sachen gut, meinte aber, wir müssen zuerst noch mit dem Chefredakteur sprechen. Stiegen zusammen eine Etage höher ins Büro des Chefredakteurs. Mehr noch als das Schicksal meiner eigenen Texte lag mir allerdings einiges andere am Herzen; und dieses "andere" floss dann allmählich in die immer lebhafter und intensiver werdende Unterhaltung mit ein. (der Sovremennik ist eine große und sehr umstrittene Zeitschrift, der Chefredakteur vermutlich ein berühmter Mann; aber ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich im Moment nicht mal seinen Namen geläufig habe; hab ihn einfach vergessen. So hab ich denn mit einem berühmten Mann, dessen Namen ich vergessen habe, ein Gespräch geführt, bei dem wir uns ohne viel Worte sofort verstanden und in dessen Verlauf mein Gesprächspartner gar zwischendurch bemerkte, daß dieses Gespräch in einem gewissen Sinn gar ein historisches Ereignis sei... Aber seinen Namen hab ich vergessen...)

Dem Sovremennik geht’s um die russische nationale Wiedergeburt; und dös kriegen halt sehr viele in die falsche Kehle, da man nationale Wiedergeburt mit Chauvinismus gleichsetzt. Iss sehr häufig der Fall, ganz sicher isses häufig so, daß dort, wo von nationaler Wiedergeburt gesprochen wird, engstirniger Chauvinismus im Spiele ist; nur muß man sich die Dinge anschauen. (Mir selbst wäre zum Beispiel sehr an einer deutschen nationalen Wiedergeburt gelegen, obwohl ich dem Pass und dem Sinn nach weder Deutscher bin noch deutscher Nationalist; und ich verstehe sehr gut, daß es unter anderem eben die deutschen Nationalisten sind, die die deutsche nationale Wiedergeburt verhindern und verunmöglichen...)

Machte klar, warum man im Westen im Großen und Ganzen überhaupt keine Möglichkeit hat, dem Bestreben nach nationaler, nach kultureller Wiedergeburt gegenüber Verständnis aufzubringen: Weil es im Westen schon seit langem keine Kultur mehr gibt; nur noch Ausläufer von irgendetwas, was mal war; aus dem Grunde wird hier alles, was man "Kultur" nennt, als reiner Überbau erlebt, der keinerlei eigene Tragfähigkeit hat und keineswegs als "Geist, der das Leben ist, das selbst ins Leben schneidet". Und nationales Bestreben wird automatisch verstanden als das Bestreben, den eigenen Überbau wertenderweise den andern Überbauten voranzustellen und gar machtmäßig eine Hegemonie anzustreben. Man sieht das so, weil man selber nichts anderes kennt.

Sprachen über den Verfall der westlichen Medien und wie dieser Verfall allmählich in Rußland nachgeahmt wird. Erwähnte das Geschmiere im "Spiegel" über das Solschenizyn-Manifest.

Und sprach von dem Solschenizyn-Aufsatz, den Klaus schreiben will. Diese Ankündigung stieß auf regstes Interesse; man bat mich, ihnen den Aufsatz, sobald er fertig ist, sofort zu übermitteln; und darüber hinaus: Hier weitere gute Leute für sie ausfindig zu machen. Das Gespräch klang in der Gewissheit aus, daß man in irgendeiner Weise zusammenarbeiten wird.

Zurück mit Sascha Segen in dessen Büro. Sprach über das Problem der Päckchensendungen und daß ich nach Möglichkeiten suche, die Hilfe gezielter zu gestalten. Sascha rief in der Redaktion der "Literaturnaja Rossija[2]" an; hier sei man über diese Dinge besser auf dem Laufenden; gingen in die Redaktion, die gleich im Nebengebäude war (der Zwetnoi Bulvar scheint eine Zeitungsstraße zu sein; auch die Literaturnaja Gaseta ist ganz in der Nähe).

Gespräch mit Fomenko, Redakteur der Abteilung Politik.

Information in allgemeinen Umrissen über das Flüchtlingsproblem; hier herrsche die schlimmste Not. Vor allem legte er mir nahe: Auf keinen Fall die Hilfe über Parteien oder offizielle Organisationen laufen lassen. Gab mir die Adresse von Bytchkov[3], der in der Flüchtlingssache engagiert ist und zuverlässig sei.

***

Nach diesen Gesprächen streunte ich zu Fuß herum, schaute mir Moskau an. - Starker Verkehr; über die Straßen zu kommen ist ein Abenteuer; hatte mich aber recht schnell den Verhältnissen angepasst: Ging einfach rüber. Noch nicht ganz so unverschämt wie die richtigen Moskauer, aber fast. (wie es bei diesem Gewirr von schnell fahrenden Autos und nach Lust und Laune die Straßen passierenden Fußgängern nicht dauernd zu Unfällen kommt ist mir unverständlich. Ja nu: Wohl stärkere Aktivität der höheren Mächte; wie schon im Gespräch mit Jurij Milov erwähnt[4]...

Dann rückte die Zeit heran, mich auf den Weg in die Schumilova zu machen; Valery sollte heute zurückkommen, und ich wollte nicht zu spät kommen. Wollte aber vorher nochmal den Roten Platz sehen; kam denn auch in Straßen, die nach Zentrum rochen: Dsershinsky, Chmelnizky... (die Karte hervorzuholen war ich zu faul; lief nach Instinkt.) Dann landete ich an einem Eingang zu der Metro-Station Ploschtschad Nogina. Die Ploschtschad Nogina war mir in guter Erinnerung; vor fünf Jahren war ich dort herumgeirrt, nachdem mich urplötzlich so 'ne Art Fieber gepackt hatte.

Womit der Weg zum Roten Platz klar war. […].

Ging rein in die Metro-Station - gleichzeitig eine verzweigte Unterführung -. Kam raus in der Nähe eines Denkmals, massiges Ding, das an irgendeinen Türkenkrieg erinnert; verschwommene Erinnerung, daß ich es vor fünf Jahren durch einen Schleier aus Fieber gesehen habe. Spazierte die Parkanlage runter; bis hin zu einer riesigen Tafel, auf der - wie damals - angeschlagen war, welche Fabriken sich im Arbeitskampfe ganz besonders hervorgetan haben. Es waren deutlich weniger als damals; entweder haben die Fabriken an Leistungsfähigkeit eingebüßt, oder aber man nimmt diese Auszeichnerei nicht mehr ganz so ernst. Überquerte die Straße, und vorbei an irgendeinem massiven Mauerrest in die ul. Warwarka. Ganz zu Anfang - eine restaurierte Kirche; eine von denen, die damals halb zerfallen und mit Brettern vernagelt waren. Am Zaun ein Plakat, das auf eine Ausstellung über Kosakentum hinwies, die zur Zeit im Innern stattfindet. Kurz entschlossen ging ich rein.

Bezahlte einen Rubel für den Eintritt; spendete auch was. Die Frau an der Kasse deutete auf einen jungen Menschen, der eine kosakische Uniform trug, wie sie wohl vor achtzig Jahren üblich war: Wenn ich Fragen hätte könne ich mich an ihn wenden.

Die Ausstellung berührte, wenn ich recht verstehe, so die letzten fuffzig Jahre vor der Revolution. Farbige Stiche von Reiterscharmützeln. Verschiedene Gegenstände; interessierte mich alles, wenn ich ehrlich sein soll, nicht übermäßig: Irgendwie fehlte der Zeitbezug. Oder sonst irgendwas... Fragte den Uniformierten: Warum nichts über Lienz[5] ausgestellt ist. Leider hätten sie keine Möglichkeit, an Material heranzukommen, lautete die Antwort. (Aber wenigstens ein Foto von dem Denkmal, mit Kommentar???) Ob er selber schon da war? Man ließe ihn nicht ausreisen.

Nach dem Problem mit dem "Stillen Don"[6] fragte ich: Wie er dazu steht. Die Frage war ihm bekannt; nur sagte er, er sei nicht kompetent; dazu müsse man Literaturwissenschaftler sein. Er nehme an, daß das Buch tatsächlich von Scholochov stammt; nur daß Scholochov halt einiges durcheinandergebracht hat (weiß nicht mehr genau, wie er das formuliert hat).

Aus irgendwelchen Gründen kam die Sprache auf meine Mission in Sachen Hilfsgüter. Hier hakte er ein: Sie brauchen dringend eine Videoeinrichtung; es gebe in ihren Reihen einige alte Leute, die noch überlieferte Folklore kennen; man müsse das aufnehmen, bevor sie sterben. Ich antwortete, ich kenne einen Moskauer Filmregisseur; ich könne ihn bitten, sich darum zu kümmern.

Das war ihm nicht so recht: Sie wollen das schon lieber selber machen. Aber wenn's nicht anders geht... Im Weiteren erzählte ich kurz von Volodja K.[7], der kosakische Folklore auf Video sammelt; er lebe zwar in Wolgograd; aber das sei ja eh praktisch Dongebiet. Er hielt es für möglich, daß er ihn kennt; war aber interessiert, seine Adresse aufzuschreiben. Ich fragte, ob er selbst vom Don komme; war nicht so: Vom Kuban kommt er.

Er bot mir seinen Stuhl an. So saß ich denn da, die Aktentasche auf den Knien, nahm mein Notizbuch heraus, gab ihm die Adresse von K.; er notierte sie; und dann schrieb er, sich bückend, meinen Aktenkoffer als Schreibunterlage benützend, seine Adresse in mein Notizbuch. Das Hauptquartier der Kosaken-Landsmannschaft (землячество) ist gleich hier; und hier kann man ihn jederzeit erreichen. […]

Zurück in die Schumilova-Straße. Als erstes Anruf bei Bytchkov; längeres Gespräch über die Situation der russischen Flüchtlinge in Moskau. Flüchtlinge gibt’s solche und solche. Es gibt solche, die selbst die Initiative ergreifen und was tun; es gibt solche, die nur dauernd die Hand aufhalten und warten, daß man ihnen hilft. Von einem seiner Abenteuer hatte ich bereits in der "Literaturnaja Rossija"-Redaktion gehört: Eine größere Gruppe von Flüchtlingen hatte er in einem abgelegenen Grundstück außerhalb der Stadt einquartiert, wo sie eine Ziegenherde hüten sollten. Als er nach Wochen wieder dort vorbei kam waren alle Flüchtlinge weg und die Ziegenherde über die ganze Gegend verstreut.

- Etwas später erschien Valery. Ich half ihm, die Sachen vom Auto hochbringen; erfuhr bei der Gelegenheit, nebenbei gesagt, daß mein Misstrauen gegen die beiden Lifte berechtigt ist: In einem von ihnen durfte Valery eines schönen Abends ganze fünf Stunden verbringen, ehe er wieder rauskam.

Sehr viel schleppten wir da hoch; und als wir alles in der Wohnung hatten war daselbst der Platz merklich reduziert. Hauptsächlich Nahrungsmittel; aus Moldawien, einem Land, scheint's, wo Milch und Honig fließt.

Verbrachten den Abend mit Gespräch und Schlemmerei. Valery gab mir ein Papier mit Stempel von dem Vorsitzenden einer ehemaligen Moldawischen Kolchose; sein Vorschlag: Ich soll versuchen, einen Handel aufzuziehen; die brauchen dort Gerät, Maschinen; und die Nahrungsmittel könnten sie exportieren; und all dies könnte ich in die Hand nehmen und daran verdienen.. Valery versteht, daß ich durch die Übersetzerei, auf die ich zu meinem Broterwerb angewiesen bin, austrockne und jede Produktivität verliere; und so hegten wir denn die Hoffnung, daß man es auf diese Weise einrichten könne, daß ein paar westliche ernsthafte Geistesarbeiter - deren Situation, nur anders und aus andern Gründen, zum Teil schlimmer ist als die Situation der Geistesarbeiter und Kulturschaffenden in der Sowjetunion - auf solche Weise ein Auskommen finden und in die Lage kommen, ungestört zu arbeiten[8].

Aus irgendwelchen Gründen kamen wir auf die Probleme der Sowjetischen Offiziere zu sprechen. Valery ist empört über die Hetze, die in den sowjetischen Medien gegen die Armee getrieben wird; ich selbst konnte mit verschiedenen Eindrücken beisteuern, die mir die beiden Tage in der Sowjetischen Garnison vermittelt hatten; und wir wurden uns einig: Einen Film drehen über die menschlichen Probleme, die bei den Armeeangehörigen entstehen durch diese Hetze; und zwar konzentriert auf zwei Schauplätze: Zum einen auf dem Territorium der ehemaligen DDR, zum andern in den Nichtrussischen Republiken. Sogar verschiedene Ideen zu einzelnen Szenen notierten wir bereits.

Meine Aufgabe wäre ein zweifaches gewesen: Zum einen ein Drehbuch schreiben, zum andern einen deutschen Fernsehsender für das Projekt gewinnen. Valery hielt es für wichtig, daß der Auftrag von einem deutschen Sender ausgeht und von deutscher Seite finanziert wird: als eine Geste der Verständigung. Für das weitere müsse man mit dem Sowjetischen Generalstab Kontakt aufnehmen; doch sah er da die geringsten Probleme[9].

Valery hat seit zwei Jahren keinen Film mehr gedreht. Angebote waren da; doch hat er die alle abgelehnt, da er seine Perlen nicht vor die Säue werfen will. Sowjetisches Fernsehen bereits stark unter westlichem Einfluss; zwar noch nicht ganz so degeneriert, aber auf dem Weg. Für Valerys Geschmack bereits zu sehr; auf dieses Niveau mag er nicht runter.

Valery setzte sehr große Hoffnungen auf dieses Projekt; wenn es klappen würde, würde er dieses Jahr zwei Filme drehen: Einmal unsere Sache; und dann einen Film über Moldawien für den Süddeutschen Rundfunk, für den er den Vertrag schon fast in der Tasche hatte[10]. […]

So klang denn der letzte Abend in Moskau aus...

Freitag, den 28. Dezember 1990

Am andern Tag, nach ausgiebigem Frühstück, Fahrt mit Valery zum Flughafen. Die Fahrtvorbereitungen sahen wie folgt aus: Zuerst schloss er das Handschuhfach auf und entnahm ihm die beiden Scheibenwischer und den Rückspiegel. Sodann befestigte er erwähnte Utensilien an den vorgesehenen Stellen und entfernte vom Wagenboden ein Schloss, welches Brems-und Kupplungspedal miteinander verband und sie blockierte. Und noch einiges andere gab es zu tun, bevor wir losfuhren; und all diese Handgriffe seien, wie er mir sagte, in Moskau üblich, da einem bei den obwaltenden Umständen nichts anderes übrigbleibt.


1) Sowremennik; "Zeitgenosse". Zu jenen Zeiten recht bekannte Literaturzeitschrift. Soweit ich mich erinnere habe ich dort nie was veröffentlicht

2) "Literaturnaja Rossija". Später veröffentlichte ich dort einiges; aber nichts Wichtiges

3) Bytchkow spielte dann im Weiteren, vor allem in den Anfangszeiten meines Daueraufenthalts in Moskau, eine wichtige Rolle.

4) Siehe oben erwähnte Wolgograd-Aufzeichnungen

5) Lienz: Während des zweiten Weltkriegs zog es die Kosaken gen Westen. Es gab da unterschiedlichen Strömungen. Manche schlossen sich den Nazis an; das Gros zog gruppenweise herum und träumte von einem freien "Kosakia" ohne Bolschewiken und ohne Nazis. Nach dem Krieg wurden sie allesamt in einem Lager in der österreichischen Stadt Lienz zusammengepfercht und schließlich an die Sowjetunion ausgeliefert. – Hierzu gibt es auch in Englisch und in Deutsch einen ausführlichen Bericht: Nicholas Bethell: Das letzte Geheimnis

6) Daß mit dem Roman "Der Stille Don" irgendwas nicht stimmt, merkte ich, als ich ihn, noch als Halbwüchsiger und noch in Deutsch, lesen wollte: viele Seiten lebendiger Schilderungen in lebendiger Sprache, die dann plötzlich von primitivem politischem Jargon abgelöst wurde. Ich las dann nicht weiter. Später, bereits mit fließenden Russischkenntnissen, stieß ich auf eine Untersuchung, wo genau dargelegt wurde, was da alles nicht stimmt. Sieht so aus, als habe Scholochow diesen Roman nicht selbst geschrieben, sondern ein fremdes Manuskript "sowjetisiert". Ich riss mich dann zusammen und las den Roman – diesmal in Russisch – zu Ende; sogar mehrfach hintereinander. Daß da mindestens zwei Autoren mit unterschiedlichen literarischen Fähigkeiten am Werk waren scheint für mich außer Zweifel. – Näheres siehe, gleich um die Ecke, im Lauf des Stillen Don

7) hatte ich kurz vorher in Wolgograd kennengelernt

8) Anmerkung 10.Februar 1991: – Nach ganz kurzem Hin und Her ließ ich dieses Projekt fallen; zum einen bin ich in geschäftlichen Dingen ein blutiger Laie; und dann noch die wirren EG-Vorschriften, die Lebensmittelimporte eh fast unmöglich machen. Und wie die Situation drüben ist bei der derzeitigen leichten Verfinsterung iss eh nicht klar. – Was die Geistesarbeit und Kulturschafferei betrifft, so hab ich für meine Person und für den deutschsprachigen Bereich inzwischen vollends resigniert; meine Situation in der Deutschsprachigen Umgebung ist die der Sprachlosigkeit; ich kann nur noch staunen, wie schnell das doch bergab geht; zu sagen hab ich eigentlich nix mehr.

9) Anmerkung 10.Februar 1991: – Auch diesem Projekt konnte ich nicht nachgehen. Zum einen war ich - rein persönlich - zeitlich dadurch beeinträchtigt, daß ich die laufende Arbeit bei S. [Stuttgarter Firma, für die ich damals dauernd am Übersetzen war] irgendwie "auf den Punkt" bringen mußte; und dann schien es mir völlig illusorisch, ohne eingehende Recherchen und zudem noch in dieser chaotischen Lebenssituation ein Drehbuch zu schreiben zu einer Problematik, an der ich bislang ganze zwei Tage schnuppern durfte. Bei Fernsehsendern vorzusprechen - davon konnte keine Rede sein. Irgendwie schien die Sache noch nicht ausgereift. – Nächsten Donnerstag flieg ich wieder rüber. Während des Schreibens fiel mir die Variante ein: Valery unterbreitet seinen Vorschlag als erstes dem Moskauer Generalstab; und dann sehen wir weiter. Ist zwar nicht so ideal; aber immerhin etwas... Notfalls könnte man den Film rein aus sowjetischen Mitteln drehen. Daß bei den sich abzeichnenden Schwaden eines neueinsetzenden "kalten Krieges" überhaupt ein deutscher Sender gewonnen werden könnte scheint fraglich. Und: Für wen? Das deutsche Fernsehpublikum ist, wenn es all das über sich ergehen läßt, was ich in den letzten Wochen streiflichtartig mitbekommen durfte, so abgestumpft und verblödet, daß jede ernsthafte Arbeit in Richtung Fernsehproduktion für die Katz ist.

10) Anmerkung 10.Februar 1991 – Auch dies klappt nicht; der SDR hat kurzfristig einen Rückzieher gemacht: Die Aufnahmen würden etwa ein halbes Jahr in Anspruch nehmen; und in Anbetracht der unsicheren Lage in der Sowjetunion kann man nicht wissen, wie es nach diesem halben Jahr aussieht. Vielleicht stimmt das dann schon alles gar nicht mehr, und die ganze Investition ist für die Katz... - (Aber warum, zum Teufel nochmal, sollte man denn nicht gleich die laufenden Veränderungen in den Film mit einbeziehen. Valery würde ich ohne weiteres zutrauen, daß er dies in eine künstlerische Form bringen könnte. Doch was soll da die Kunst, wenn Bürokraten und Politiker am Werk sind... Daß unter den obwaltenden Umständen und Gesichtspunkten das Armee-Projekt noch weitaus weniger Chancen hat dürfte klar sein)





Raymond Zoller