Was mich nicht mehr schlafen ließ waren Gedanken zu der Antwort auf einen Brief von jenem „Kurzgeschichten“-Verlag, der mich um Texte gebeten hatte. Ich antwortete, erhielt Antwort; und nun schrieb ich einen weiteren Brief, der hier hereinkopiert sei.
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Hallo,
da es mir interessant scheint, auf ein paar Punkte deiner Antwort einzugehen, geh ich darauf ein. Fühl dich aber bitte nicht gezwungen, sofort zu antworten: immer mit der Ruhe!
*** Du hast natürlich vollkommen recht: Auf unserer Seite könnten wir noch viel arbeiten. Wir bemühen uns natürlich auch darum, aber immer schaffen wir es einfach nicht. ***
Es ging mir nicht darum, eure Seite zu kritisieren. An sich ist sie sehr übersichtlich gestaltet; es ging mir nur um diesen einen, zentralen Punkt: dass Textbeispiele fehlen und der potentielle Interessent dadurch in der Luft hängt.
*** In der anderen Sache bin ich auch vollkommen Deiner Meinung.
Aber Du würdest Dich wundern, wenn Du wüsstest, wie skeptisch viele Menschen sind. Die meisten denken immer zuerst an das Schlechte im Menschen und können es kaum glauben, dass da jemand vollkommen umsonst etwas veröffentlicht, ja sogar finanziell drauflegt.
Als wir vor gut zwei Jahren starteten, haben viele auf den entsprechenden Seiten im Net unser Projekt vorher schon zerrissen. Die Ablehnung war viel größer, als wir dachten, bzw. damit hatten wir eigentlich gar nicht gerechnet. Und auch heute ist das oft noch so. Da wird drüber diskutiert, ob das Komma nun an der richtigen Stelle sitzt oder nicht. ***
Ich bin nicht sicher, wie weit man bei der hier zugrundeliegenden Haltung von „Skepsis“ sprechen kann. Wenn man ein Projekt bereits zerreißt, bevor es richtig angefangen hat, hat man ja an sich keine Urteilsgrundlage für Kritik. In dem Fall wurde vermutlich kritisiert aus reiner Lust am Kritisieren und Zerstören: weil man nichts Besseres zu tun hat. Eine Art Vandalismus: Die einen verwüsten, aufgrund einer dumpfen Unzufriedenheit und weil sie nichts Besseres zu tun haben, Telefonzellen oder durchstechen Autoreifen; andere lassen ihren Vandalismus verbal raus, wasletzteres dank Internet ja recht gut machbar ist.
Möglich – bin aber nicht ganz sicher, da ich die Einzelheiten nicht kenne – spielt hier auch noch ein gewisses „Klüngelsyndrom“ mit hinein: Vielleicht habt ihr, bevor ihr loslegtet, eure Absichten im Netzliteraten-Milieu publik gemacht; und da hängt man denn, wie in „Milieus“ üblich, klüngelhaft zusammen; viele haben wenig eigenes zu bieten, wissen nichts Besseres zu tun, als sich, eben in ihrem „Milieu“ bemerkbar zu machen, und da entsteht denn so ein internes völlig unfruchtbares und sinnloses Hickehacke. Das ist in allen „Milieus“ und „Vereinen“ so. Am besten, man nimmt das gar nicht ernst. Vor allem für euch ist es wichtig zu lernen, das nicht ernst zu nehmen, da in vielen deiner Äußerungen ein gewisses „Gehetztsein“ spürbar ist: von allen Seiten wittert man Angriffe; jeder Bewegung droht ein Fettnäpfchen oder ein Stich ins Wespennetz. Wie wär's mit einem Spruch von Freund Nietzsche: „Unter solchen gelüstet es mich, der niedrigste zu sein“? - Ist etwas mühsam, sich bis zu solcher Sichtweise durchzuringen; aber wenn man es mal geschafft hat, wird alles viel lustiger und lockerer.
*** Wenn wir die Messlatte zu hoch legen, fallen viele Hobby-Schriftsteller, für die wir ja eigentlich da sein wollen. Wo ist da die Grenze? Naja - damit müssen wir leben.***
Warum soll man die Messlatte nicht hoch legen? Und was ist ein Hobby-Schriftsteller? Etwa jemand, der nicht in arrivierten Verlagen veröffentlicht? Vielleicht wäre eine solche Einteilung vor hundert Jahren noch – auch nicht ganz, aber zumindest teilweise – berechtigt gewesen; heute ist sie ganz sicher daneben. Man muß sich bewusst sein, dass der heutige offizielle Literaturbetrieb – mitsamt dem von ihm verzogenen Publikum – sich kaum noch um Qualität schert, dass man sogar kaum noch eine Ahnung hat von Qualität, und dass manches Volks, das heutzutage Bestseller produziert, in früheren Zeiten nicht mal als Hobbyschriftsteller Beachtung gefunden hätte. Der heutige Literaturbetrieb, oder überhaupt Kulturbetrieb, funktioniert nach dem Prinzip, welches H.Ch. Andersen in seiner Erzählung „Des Kaisers neue Kleider“ dargestellt hat. Die arrivierten Verlage (teilweise Ausläufer der Arbeit von Verlegerpionieren; doch die Zeiten ändern sich) sind weder fürs Publikum da noch für die Schriftsteller; die dienen einem unreflektierten Ritual und sind bemüht, innerhalb dieses Rituals möglichst viel Geld zu machen; mit Literatur und Qualität hat das kaum noch zu tun.
Möglicherweise – bin nicht sicher, da ich euch nicht kenne; mein das mal rein theoretisch – würdet ihr bei näherer Gewissenserforschung merken, dass ihr für Leute da sein wollt, die schreiben können oder zumindest das Zeug haben, ihr Schreiben zu entwickeln, sowie für solche, die gut geschriebene Sachen lesen wollen. Das wäre auch eine sinnvolle Aufgabe, für die es sich lohnt, sich zu engagieren (eben vor solchem Hintergrund haben auch manche Gründer inzwischen degeneriert-arrivierter Verlage angefangen).
Man muß ja dann auch noch berücksichtigen, dass die Zeitumstände einer rechten Entwicklung der Persönlichkeit und somit auch der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit nicht sehr gewogen sind und dass selbst stärkere Begabungen häufig – wenn überhaupt – nur rudimentär zur Entwicklung gelangen.
Noch mal zur Messlatte: Wenn ihr euch in der Lage seht, selbige höher zu legen – warum eigentlich nicht? Es ist doch kein Gesetz, dass ihr jeden Monat eine Nummer herausbringen müsst? Vielleicht nur alle zwei Monate? Oder bloß zweimal im Jahr? Dann kommt ihr mit der Zeit vielleicht auch an mehr fähige Leute heran, ob arriviert oder nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass es fähige Schreiber gibt, die lieber gar nicht veröffentlichen als zusammen mit allzu dilettantischen anderen Schreibern oder Schriftstellern.
Nur mal so zum Sagen…
Und fühl dich nicht gedrängt, sofort zu antworten
Zufällig entdeckt beim Herumsuchen in alten Aufzeichnungen. Da es mir interessant schien – klamurkisierte ich es. – Wie das weiterging – weiß ich nicht mehr.