Gestern um 1 war ich wieder im Schriftstellerverband, weilnämlich M. R. mich gebeten hatte, dortselbsthin zu kommen. Aber das war Blödsinn. Er hatte mir nur gesagt, das sei irgendein Übersetzertreffen. Ich bin nun nicht sehr übersetzungsfreudig; ging aber hin. Zuerst waren nur Leute vom Hauspersonal da, die man herbeordert hatte, weil eine wichtige Veranstaltung abgehalten wird. Genaues wusste niemand. Stand herum. Eine Mitarbeiterin schaltete in der Bibliothek einen Elektroofen ein; schlug mir vor, mich zu ihr zu setzen. Zuerst schlug sie es mir in Georgisch vor; nachdem ich ihr in Russisch mitgeteilt hatte, dass ich nix verstehe, sagte sie – vermutlich – das Gleiche nochmal in Russisch. Wunderte sich, dass ich kein Georgisch kann; war sogar leicht indigniert. Unterhaltung kam nicht in Gang. Nach kurzem Herumsitzen in der Bibliothek verabschiedete ich mich; lief etwas herum; postierte mich schließlich vor die Eingangstür, wartete auf R. sowie die Dinge, die da kommen sollen. Irgendwann tauchte R. am Horizont auf; fast gleichzeitig fuhren irgendwelche Karossen vor, meist Mercedes, denen sichtlich seiner Wichtigkeit bewusstes Volks entstieg; und Kuchen, Torten und sonstiges Gebäck wurden ins Haus getragen.
Dann saß man in der Bibliothek. Das Gebäck hatte man teilweise dort auf dem Tisch abgeladen. R. bot mir an, auf einem Sessel Platz zu nehmen; er selbst setzte sich auf einen Stuhl daneben. Erzählte mir in wirren Worten, worum es ging. Seine Aufgabe sah er, wie er erklärte, darin, dass er den Leuten zeigen muß, dass „wir“ noch da sind und arbeiten. Von der russischen Gruppe war sonst niemand da; wir beide waren die einzigen; ringsum wurde nur Georgisch gesprochen; und so langsam dämmerte mir, dass er mich herbestellt hatte, um mit diesem von ihm entdeckten deutschen Schriftsteller zu glänzen. Was durchaus nicht in meinem Sinne war.
Zunächst war noch nicht sehr viel Volks da. R. begab sich zu irgendwelchen sichtlich hochgestellten, redete auf sie ein; wobei ich den Eindruck hatte, dass er ihnen auf die Nerven geht und dass sie versuchen, ihn abzuwimmeln. Irgendwer nahm dann doch irgendwelche Zeitschriften von ihm entgegen. Ich schaute mir das an, dachte, dass sich da wohl noch Material ansammelt für ein Grotescical; bloß hatte ich nicht die geringste Lust, selbst an diesem Grotescical teilzunehmen. Hätte ich das nicht rechtzeitig durchschaut – ja nu; da hätte ich dann anschließend auch über mich selbst lachen können; aber freiwillig eine lächerliche Figur abgeben – nee danke. Suchte nach Möglichkeiten, mich baldmöglichst vom Orte dieses beabsichtigten Geschehens zu entfernen. Zu Hilfe kam mir das Klingeln des Handy. War einer dieser völlig unsinnigen Anrufe von L., der mir aber diesmal sehr gelegen kam. Während ich mit L. herumradebrechte – ein richtiges Gespräch mit ihr ist bekanntlich nicht möglich – füllte sich der Saal mit weiteren Georgischsprechenden; auch begrüßte ich, das Telefon am Ohr, eine freundliche Dame, die M. mir vorstellte und die ihn offenbar ernst nahm oder zumindest so tat; und dann wurden wir in den Veranstaltungsraum gebeten. Vor der Tür zu selbigem – das Gespräch mit L. war mittlerweile beendet – offenbarte ich dann M., ich müsse dringend weg. Und verabschiedete mich. M. war sichtlich enttäuscht.
Leid tat er mir… Bevor ich mich auf den Weg machte, fiel mein Blick auf meine von ihm „korrigierten“ Texte. Gleich nach Erhalt der „Korrekturen“ hatte ich mir nur das „Huhn“[1] angeschaut; das hatte gereicht; gleichzeitig hatte er mir auch seine Besprechung „meiner“ Arbeit übergeben; ich hatte verstanden, was los ist, und mir das weitere schon gar nicht mehr angeschaut. Und, eben, als ich mich auf den Weg machte, fiel mein Blick auf jenen auf dem Schreibtisch liegenden Stapel; und ich sah, dass er in dem Titel «… показуха в заморской маске»[2] das «показуха» durchgestrichen und durch «сокрытость» ersetzt hatte; und das war so daneben, dass ich, ganz einfach, Mitleid mit ihm bekam; es tat mir dann auch sehr leid, dass ich ihn enttäuschen musste; doch – Mitleid hin, Mitleid her, aber das darf kein Grund sein, den Narren zu machen.
Kurz nach 5 kam dann, wie abgemacht, В. Д., und klein wenig später, auch Dshemal. Das Treffen war etwas mühsam. W. ist eigentlich ein ganz netter Bursche; aber er ist sehr in sein Schriftstellertum verliebt und, insgesamt, in sich selbst, und hielt dann endlose Monologe, eben, über sich selbst bzw. über das, was er geschrieben hat und was wer dazu gesagt hat. Angenehmer wäre es mit ihm, wenn er sich als Mensch geben würde und nicht als Schriftsteller. Ich sah mich da einem leeren Mechanismus gegenüber, Schriftstellerei um der Schriftstellerei willen bzw. um des Ehrgeizes willen. Sogar war er etwas irritiert, als ich zugab, dass er mir völlig egal ist, ob man mich als Schriftsteller betrachtet oder nicht und dass meine Schreiberei ganz andere Wurzeln hat als der Wunsch, Schriftsteller zu sein. Dshemal nahm – soweit das möglich war – am Gespräch teil; ich selbst saß da und hörte zu. Später, als er weg war, sezierte Dshemal das alles; will das jetzt nicht wiederkäuen; vielleicht ein andermal. Dshemal ist der festen Ansicht, dass jenes Buch „T.“ nicht das geringste taugt («полное говно»[3]; ein Eindruck, den ich nach den ersten paar Sätzen hatte; aus welchem Grunde ich auch nicht weiterlesen konnte); dass er in Russland – wo man doch professioneller ist – auf keinen grünen Zweig kommt und dass er es nun in Georgien versucht; und Dshemal zählte die Faktoren auf, aufgrund deren er das – wie ihm scheint – unweigerlich schaffen wird.
D. und R. mögen von unterschiedlichem Niveau sein; aber eins haben sie gemeinsam: Beide sind menschlich eigentlich in Ordnung; was sie aber beide sozial schwer tragbar macht ist ihre Manie, „Schriftsteller“ zu sein.
1) Deutsche Version findet man bei Bedarf hier
2) Jenen Artikel hatte ich in Russisch für die „Literaturnaja Gaseta“ geschrieben, und er wurde, unter diesem Titel, dort auch veröffentlicht. Der Titel in mehr oder weniger wortwörtlicher deutscher Übersetzung; „Augenwischerei unter fremdländischer Maske“. Die „Korrektur“ ist so daneben, dass es schwer fällt, eine deutsche Entsprechung zu finden. Vielleicht „Sichverstecken“. – In deutscher Übersetzung, unter dem stimmigen Titel „Augenwischerei auf Vornehm“, findet man den Aufsatz hier.
[3] Reine Scheiße - (Titel und Autorenname sicherheitshalber abgekürzt. Besagtes Buch erschien in deutscher Übersetzung in einem hochangesehenen deutschen Literaturverlag; was mich weiter nicht wunderte)