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Vom seligen Schlafe

Vom schlafgerechten Eingebettetsein

Aus einem im Jahre 1919 von einem österreichischen Denker gehaltenen Vortrag

[…]

[…] Was hatten die Menschen für ein Verhältnis zum Geiste? Sie strebten darnach, daß ihre Nachkommen bis zu einem gewissen Jahr nach Anordnung des Staates zu Theologen, zu Juristen oder sonstigen Leuten gemacht worden sind. Dann sollten sie in den Staat hineinwachsen, sollten all dasjenige tun, was der Staat verlangt, sollten dazu ganz besonders tauglich sein. Aber die innere Aktivität, das ganze Dabeisein bei dem Weltprozeß, was der Nerv der Geisteswissenschaft ist, wo war das? Es lag darin, daß die Leute sagten: Ich will vom Staate mein Gehalt beziehen bis zu gewissen Jahren, dann aber meine sichere Pension haben, also so lange für den Staat arbeiten, als der Staat es vorschreibt; dann soll der Staat sorgen für eine Pension bis an mein Lebensende. Und dann, nach dem Lebensende, für das begründete man auch kein aktives Verhältnis, sondern ein passives: dann soll die Kirche sorgen für die ewige Seligkeit der Seele. Nun, so war man als passiver Mensch allerdings recht gut versorgt, zunächst in den Schoß des Staates gelegt, erzogen nach seinem Sinn, dann arbeitend für ihn, dann versorgt von ihm bis zum Tode, und dann sorgte die Kirche für die ewige Seligkeit, ohne daß man selber den Impuls des Ewigen in sich aufnahm. Ein herrlicheres Leben konnte man nicht führen. Ein Leben ohne etwas dazu zu tun, das war immer mehr und mehr das Ideal der Menschen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts geworden oder gar am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Aber es gab eben nur die Möglichkeit, so zu denken auf Grundlage jenes Unterbaues, von dem ich gesprochen habe: wo die Leute gar nicht versorgt waren bis zu ihrem Tode, sondern wo man höchst dürftig durch allerlei Versicherungswesen in letzter Zeit anfing, sie zu versorgen. Deshalb haben diese Leute dann auch angefangen, da nichts Rechtes mehr heraussprießen konnte aus der Weltanschauung der leitenden Kreise, deshalb haben sie auch angefangen, nicht mehr zu glauben an jene nachtodliche Alters- und Invalidenversicherung, welche durch die Kirche gegeben wurde mit Bezug auf die ewige Seligkeit.

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Rudolf Steiner
Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen (GA 192)

Raymond Zoller