Die Klamurke Belletristik

Probleme bei der Gründung von Staaten

Wer einen neuen Staat gründen will, der wird schnell merken, daß das alles gar nicht so einfach ist.

Als erstes braucht man dazu Menschen, sehr viele Menschen. Wo die hernehmen?

Früher war das noch einfacher; da ging man auf den Sklavenmarkt und kaufte sich welche. Vorausgesetzt, man hatte die nötigen Mittel; denn Sklaven waren teuer. Wohl konnte man billige Ausschußware kaufen; doch was ist das für ein Staat, der aus billiger Ausschußware besteht? Der wird nie auf eigene Beine kommen; jeder halbwegs geschickte Feldherr wird ihn ohne Schwierigkeiten erobern und den Gründer gefangensetzen. Nein; mit Ausschußware kann man keinen neuen Staat gründen; doch selbst bei Verwendung von Ausschußware wäre das immer noch ganz schön teuer.

Und heute? Wo es Sklaverei offiziell überhaupt nicht mehr gibt? Wo man nicht einmal mehr Ausschußware kaufen kann?

Natürlich kann man zum Beispiel versuchen, die Menschen wirtschaftlich von sich abhängig zu machen. Das ist sehr effektiv und hat darüber hinaus den Vorteil, daß die Abhängigkeit den Leuten in der Regel nicht deutlich zu Bewußtsein kommt und daß somit die Gefahr einer Empörung oder eines Aufstandes wesentlich geringer ist, als wenn man offen Sklaven nimmt. Doch andererseits ist solche Maßnahme außerordentlich schwierig und kompliziert durchzuführen; wesentlich schwieriger und komplizierter, als wenn man auf dem Markte die benötigte Menge Sklaven einkauft. Und genau wie bei Einkauf von Sklaven ist solches ohne Anfangskapital fast nicht zu bewerkstelligen.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, das ins Auge gefaßte Menschenmaterial durch unterschwellige psychische Beeinflussung in seine Gewalt zu bringen; was sich besonders effektiv durchziehen läßt, wenn man es mit wirtschaftlicher Abhängigkeit kombiniert. Was, wie gesagt, alles nicht so einfach ist, jedoch bei Vorhandensein entsprechender Mittel und Zugriff zu den Massenmedien letztendlich realisierbar.

Eine weitere Frage ist die des Territoriums; doch bei geschickter Ausnutzung oben angedeuteten Instrumentariums ergibt sich eine durchaus originelle Lösung für jenes Problem: Nämlich ist es durchaus denkbar, daß man einen Staat gründet, ohne dabei über ein verbürgtes Territorium zu verfügen; was sogar viel reizvoller ist als die althergebrachte Staatengründung auf vorhandenem Gebiet. Bei geschickter Ausnutzung der durch den Fortschritt gegebenen Mittel kannst du es durchaus dazu bringen, daß eine mehr oder weniger große Anzahl Menschen in der Illusion leben, sie seien Bürger dieses oder jenen Landes, und in Wirklichkeit sind sie deine Untertanen: du hast sie in deiner Gewalt und leitest sie, wohin du willst...

All dies ist äußerst reizvoll, aber, wie gesagt, gar nicht so einfach; sogar wenn du über genügend Mittel verfügst, gehen die mit dem Unternehmen verbundenen Probleme ins Gewaltige. Umso schwieriger aber, wenn ein Mensch einen Staat gründen will, der nur über geringe Mittel verfügt. Hier macht sich die soziale Ungleichheit deutlich bemerkbar; wer reich ist, der hat es unvergleichlich leichter, das Menschenmaterial für einen zu gründenden Staat zusammenzubekommen, als jemand, der dem Mittelstand angehört oder gar unter dem Existenzminimum lebt. Wer unter dem Existenzminimum lebt, hat überhaupt kaum je eine Chance, einen neuen Staat zu gründen, da er seine ganze Zeit damit vergeuden muß, die Mittel für sein tägliches Überleben zusammenzubekommen. Solches ist natürlich alles andere als gerecht; doch so ist nun einmal die Welt.

Bis das Recht auf Staatengründung als allgemeines Menschenrecht anerkannt wird, wird wohl noch einige Zeit vergehen...

© Raymond Zoller