Die Klamurke Belletristik

Preisschwankungen

An jenem denkwürdigen Tag stiegen plötzlich die Preise.

Die Menge staunte.

Die Preise stiegen und stiegen, immer schneller stiegen sie und immer steiler.

Die Menge staunte immer mehr.

Und dann begannen sie plötzlich zu fallen. Schnell fielen sie und immer schneller; noch schneller als sie gestiegen, so schnell fielen sie und so steil, daß das Publikum ganz durcheinander kam und nicht mehr aus und ein wußte. Gemüseverkäufer begannen, ihre Waren zu verschenken; und was nicht rechtzeitig genommen wurde, warfen sie den Leuten hinterher. Von den hinterhergeworfenen Tomaten und Eiern wurden die Passanten ganz bunt; und immer schneller fielen die Preise, immer dichter flogen die Tomaten und Eier; auch Bierflaschen flogen und Fotoapparate; und wie die Preise immer tiefere Minuswerte annahmen, da begannen auch die Prostituierten, sich gratis anzubieten und liefen den Männern hinterher. Ein Gemüseverkäufer, der sich soeben seiner fünf letzten Tomaten entledigt hatte, von denen eine den Hinterkopf eines Bischofs unbekannter Glaubensrichtung traf, nahm ganze fünf Stück mit nach Hause; und jener Bischof begann gar, systematisch die Prostituierten einzusammeln und zog schließlich mit einer Herde von etwa fünfzig Stück, die ausnahmslos blond waren und langbeinig, von hinnen. Die Umstehenden ließ er wissen, daß er diese langbeinigen Sünderinnen den Fängen der Sünde entreißen möchte; doch wie sich später herausstellte, trommelte er seine Glaubensbrüder zusammen zu einer wilden Orgie. In einer im Weiteren abgegebenen Stellungnahme wurde betont, daß zwischen erwähntem Kommentar und dem anschließend vonstatten gegangenen keinerlei Widerspruch besteht, weilnämlich es ein ganz großer Unterschied ist, ob besagte Sünderinnen ihren sündigen Beruf einfach so ausüben, oder ob sie durch ihr Treiben maßgeblichen Vertretern der einzig wahren Religion1 Kräfte einflößen zum würdigen Hinführen der ihnen anvertrauten Menschheit zu den verheißenen lichten Höhen.

Zum Moment dieser Stellungnahme hatten sich die Preise wieder normalisiert. Wie eh und je verkauften die Gemüsehändler ihre Tomaten gegen Bares und dachten nicht daran, sie jemandem hinterherzuwerfen; und wenn doch mal jemand einem Passanten eine Tomate, ein Ei oder eine Bierflasche an den Kopf warf, so nur deswegen, weil der Betreffende ihn geärgert hatte oder weil er ihm aus sonstwelchen Gründen unsympathisch war.

Die genauen Hintergründe dessen, was an jenem denkwürdigen Tage passiert ist, sind den Wirtschaftswissenschaftlern bis heute ein Rätsel. Sowas habe es bislang noch nie gegeben.


1) Um welche einzig wahre Religion es sich in vorliegendem Falle handelt ließ sich nicht mehr feststellen




© Raymond Zoller
Zur russischen Fassung





Diesen Text findet man, neben vielen anderen, in dem Taschenbuch

Raymond Zoller

Wie ich den König vom Pferd schubste

und sonstiges Episodisches

RaBaKa-Publishing, Edition Ivata
Erscheinungstermin: Juni 2013
Preis: 16,90 €
Seitenzahl: 196
ISBN: 978-3-940185-25-9


[Sollte der vom Pferde geschubste König über den Buchhandel nicht mehr erhältlich sein, so kann man es über den
Vertrieb des Seminar-Verlags
versuchen. Auf der durch das Link angesteuerten Seite ganz nach unten scrollen; dort findet man ihn]

Die Erzählungen kennzeichnet eine für Zoller typische inhaltliche Unernsthaftigkeit, kombiniert mit einer streng durchgestalteten Form. Die Szenen und Orte der Erzählungen reichen hinein ins Reich des Fantastischen; aber auch ganz normale Alltagsszenen weiß der Autor ins Absurde zu führen. Seine Protagonisten verhalten sich so, wie es nach Ansicht Zollers nicht allein Romanfiguren gut stände, sondern auch dem regelkonformen „Zivilisationisten“.

(Erika Reglin-Hormann)

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