Die Klamurke Belletristik

Das Pentagramm

Neben meinem Bette, welches ein Hochbett war von gut zwei Meter Höhe, hing ein fünfarmiger Lüster; und in meinem Bette neben diesem Lüster schlief ich jede Nacht bis in die frühen Morgenstunden. Kaum aber, daß ich des morgens aufgewacht, erhob ich mich, zog mich an und sprang sogleich mit großem Schwunge aus dem Bette; wobei es infolge der großen Höhe immer eine gewaltige Erschütterung gab, welche die ganze Wohnung zum Erzittern brachte; und alles Porzellan, welches ringsum in und auf den Schränken verteilt war, pflegte noch lange nachzuklingen. - Genau unter dem Lüster aber, an jener Stelle, wo meine Füße auf den Boden aufkamen, war im Laufe der Zeit eine auffallende Vertiefung entstanden; und ein Bekannter, der einst zu Besuche weilte, warf die Frage auf, wie lange der Fußboden denn wohl noch halten mag.

Er hatte dies im Scherze gesagt und hätte wohl nicht gedacht, daß eines Tages...

Ja nun: Wie immer sprang ich an jenem Tage mit großem Schwung aus dem Bette, und wie immer klirrte und zitterte ringsum das Porzellan; doch statt mir, wie gewohnt, festen Halt zu bieten, gab der Fußboden plötzlich nach, und ich brach durch.

Im Vorbeifallen sah ich einen jungen Mann am Schreibtisch sitzen, den ich schon des öfteren im Treppenhaus gesehen hatte und von dem ich in der Tat vermutete, daß er, gleich mir, in diesem Hause wohnt; doch konnte ich ihm weiter keine Beachtung schenken, da ich mich nunmehr darauf konzentrieren mußte, den immerhin recht schnellen Fall geschickt abzufangen, aufdaß ich mich nicht verletze.

Mit federnden Beinen berührte ich den Fußboden; doch sofort gab der Fußboden nach, und wieder brach ich durch. Ich bewegte mich auf ein Bett zu, in dem ein junges weibliches Wesen lag mit angenehmen Gesichtszügen, das mir gleichfalls im Treppenhaus bereits aufgefallen war und mir einmal sogar zugelächelt hatte. Die Situation verwirrte mich, und ich wußte nicht recht, wie ich mich verhalten soll. Zum Glück fiel ich an ihrem Bette vorbei und prallte - da ich mich auf den Aufprall nicht vorbereitet hatte - recht schmerzhaft gegen den Fußboden, der wiederum sofort nachgab und mich durchließ. Genau unter mir sah ich einen etwa dreißigjährigen, kräftig gebauten Mann, der sich eben eine Zigarette anzündete und der, wie ich mich ihm näherte, beiseitetrat. Wie bereits gewohnt durchbrach ich auch hier den Fußboden und machte mich daran, die vierte Wohnung zu durchmessen. Der Mann und die junge Frau, die in lockerer Umarmung unter mir standen und sich anscheinend küssen wollten, sprangen bei meinem Herannahen auseinander; und genau zwischen ihnen prallte ich mit federnden Beinen auf und durchstieß den Fußboden.

Nun aber gewahrte ich unter mir eine mit Wasser gefüllte Badewanne; und da mir bekannt ist, daß Badewannen in der Regel stabiler sind als Holzfußböden, ging ich davon aus, daß hier die Reise zu Ende ist.

So war es auch. - Die Hälfte des Wassers spritzte bei meinem Aufprall heraus, während die verbliebene Hälfte sogleich von meiner Kleidung aufgesogen wurde; und wie ich nun, in der Badewanne liegend, den Blick nach oben richtete, da gewahrte ich ganz zuoberst die fünf Arme meines Lüsters; und an jedem ihrer Enden, über die verschiedenen Stockwerke hin verteilt, jeweils ein Gesicht, welches zu mir herunterblickte. Ganz magisch ward mir zumute, und unwillkürlich mußte ich an jene beeindruckende Stelle im Faust denken, wo Faust den Mephistopheles frägt, ob das Pentagramma ihm Pein mache; obwohl mir selbst jenes Pentagramm nicht unbedingt Pein verursachte, und dafür mehr all die Stöße und Kratzer, die ich mir beim Durchstoßen der verschiedenen Decken und Fußböden zugezogen hatte.

Als dann aber unvermittelt eine unbekleidete Schöne – offenbar die Herrin jener Badewanne, die meiner Reise ein Ende bereitet hatte – hinzutrat, da ward mir auf einen Schlag bewußt, daß wir insgesamt ja sieben sind und daß das Ganze sicher etwas zu bedeuten hat.

© Raymond Zoller