Die Klamurke Belletristik

Der Hühnerdieb

Man nannte ihn Hühnerdieb.

Obwohl er keine Hühner klaute, sondern Autos.

Nie und nimmer wäre er auf den Gedanken gekommen, ein Huhn zu stehlen. Was sollte er auch? Andere können das viel besser. Manchmal aß er am Imbißstand ein halbes Hähnchen; oder er haute sich ein Spiegelei in die Pfanne. Sonst hatte er mit Hühnern nichts zu tun. Die Eier kaufte er ganz normal im Supermarkt und bezahlte sie. Denn auch mit Ladendiebstahl gab er sich nicht ab; das können andere besser als er. Das Geld aber, mit dem er ehrlich bezahlte, verdiente er sich durch Autodiebstahl. Dieses Handwerk beherrschte er wie kein zweiter: Da war er Fachmann. Genauso, wie er kein einziges Mal in seinem Leben auch nur ein einziges Huhn gestohlen hätte, so hatte er auch kein einziges Mal auch nur ein einziges Auto gekauft. Autos klaute er nur. Klaute sie massenweise. Und konnte gut davon leben. Deshalb war er auch nicht darauf angewiesen, Hühner zu klauen, seien sie lebend, seien sie tiefgefroren.

Doch warum nannte man ihn dann Hühnerdieb?

Keine Ahnung.

© Raymond Zoller