Die Klamurke Belletristik

Eine etymologische Geschichte




Irgendwo im Bayrischen oder sonstwo lebte ein Mann, der vermutlich Xaver hieß, mit seiner Frau, welche die nachfolgend beschriebene Episode nicht überlebte und deren Name daher nichts zur Sache tut, in bescheidener Eintracht still beisammen. Der Mann ging in redlichem Fleiße irgendeiner Arbeit nach, und die Frau besorgte nicht minder redlich und fleißig den Haushalt.

Eines Tages begab es sich, daß Xaver, oder wie auch immer er hieß, großen Hunger hatte; und er sagte zu seiner Frau, sie solle ihm Essen kochen. Die Frau, die ihrem Manne auf das treueste ergeben war und ihm, wo immer es ging, aufs Wort gehorchte, machte sich sogleich ans Werk. Langsam und bedächtig begann sie, Kartoffeln zu schälen; und wie der Xaver sagte, sie solle schneller machen, alsda sein Hunger ganz besonders groß sei, hatte solches auf das Tempo keinerlei Einfluß

Der Xaver, dem sein Hunger und die langsame Arbeit seiner Frau zu einem Quell unerhörten Leidens wurden, ging unruhig im Zimmer auf und ab; und alle paar Minuten fragte er:

«Kann i bald essen?»

Die Frau aber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, schälte langsam und bedächtig eine Kartoffel nach der andern und sagte nur «Glei, glei.»

«Kann i bal...?» rief Xaver verzweifelt; und dann packte er, da er anders sich nicht mehr zu helfen wußte, seine Frau und aß sie auf.

Dieser Vorfall aber hat all die, die davon hörten, so beeindruckt, daß man seitdem Personen, welche ein vergleichbares Verhalten an den Tag legen, als «Kannibalen» bezeichnet.

© Raymond Zoller