Die Klamurke Belletristik

Die Ziehharmonika




An einem frühen Sommermorgen erwachte der Großvater auf seinem Throne und rieb, den Schlaf vertreibend, sich die Augen.

Und wie er sich genügend die Augen gerieben hatte, rief er mit lauter, vom Schlafe befreiter Stimme: “Wo ist meine Ziehharmonika? Die Ziehharmonika, die mein Kollege, der König von Duggagga, zu gegebenem Anlasse mir geschenkt und die ich nun an meiner Seite wissen möchte. He, ihr Diener, kommt heran und sucht meine Ziehharmonika!”

Am gegenüberliegenden Ende des Saales öffnete sich eine Tür; es erschien der Oberdiener und eilte mit hastig trippelnden Schritten nach vorn, wobei das endlos lange Band seines ungebundenen linken Schuhs in wirren Wirbeln ihn begleitete. Nach dem fünften Schritte trat er auf dieses schlängelnde Band und fiel der Länge nach hin; wodurch er einen lauten Knall verursachte. Er rappelte sich auf, band sich im Knien den Schuh, und eilte, nachdem er wieder die Senkrechte eingenommen, dienstbeflissen nach vorne zu dem auf seinem Throne wartenden Großvater. Fünf Schritte vor dem Throne blieb er stehen, verließ in einer ehrfürchtigen Verneigung für kurze Zeit wieder die Senkrechte und sagte mit leicht keuchender Stimme:

“Majestät suchen Ihre Ziehharmonika?”

“Meine Ziehharmonika, die mir mein Kollege, der König von Duggagga, zu gegebenem Anlasse geschenkt und die ich nun an meiner Seite wissen möchte,” antwortete der Großvater. “Und zum Frühstück gelüstet es mich nach Spiegeleiern mit Speck.”

“Das mit den Spiegeleiern wird erledigt,” sagte der Diener. “Es wird nur etwas dauern, da das Dienstpersonal verschlafen hat... Auch ich habe verschlafen; doch konnt' ich mich rechtzeitig besinnen und auf Eurer Majestät Befehl sogleich erscheinen. Ich werde nun alle in Frage kommenden Untertanen dem Schlafe entreißen, aufdaß Eure Majestät in den Genuß der gewünschten Spiegeleier komme. Was aber die Ziehharmonika betrifft, die Majestät von ihrem Kollegen, dem König von Duggagga, zu gegebenem Anlasse geschenkt bekam, so wurde selbige, als Majestät schlafeshalber in geistigen Welten sich befand, offenbar dort vergessen. Vielleicht entsinnen sich Majestät, daß sie bereits vor einer Woche geruhte, die gesamte Dienerschaft auf die Suche nach besagtem Instrumente auszusenden; wobei alles Suchen im Reiche der physischen Welt zu keinem Ergebnisse führte. Es wird vermutet, daß Majestät sie nach erquicklichem Schlafe beim Wiederaufwachen auf dem Astralplane vergessen hat und daß man sie nun in diesen Breiten zu suchen hat. Vielleicht schauen sich Majestät beim nächsten Schlafe dort nochmal um?”

“Gut,” beschied der Großvater. “Erst eß ich die Spiegeleier mit Speck; und dann zieh ich mich wieder auf den Astralplan zurück und suche nach der Ziehharmonika.”

Der Diener verneigte sich noch einmal und eilte davon.

„Wer den in grimmem Ernste dargelebten Unsinn des Alltags für den einzig möglichen Unsinn hält, der wird ob des unbekümmert dahinfließenden Blödsinns dieser Kurzgeschichte verärgert sich fragen, was das eigentlich soll und wo denn der tiefere Sinn liegt (wasletzteres er bei seinem Alltagsblödsinn natürlich nie fragen tut)“

(Wilhelm von Dorten)



© Raymond Zoller