Die Klamurke Belletristik

Die Staubsaugerexplosion

Als ich mich gestern anschickte, in meinem Zimmer den Staub zu saugen, da explodierte mein Staubsauger; und da man mit einem explodierten Staubsauger keinen Staub saugen kann, sah ich mich außerstande, meinen Vorsatz in die Tat umzusetzen und beschloß, selbiges auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

Die Trümmer des Staubsaugers sammelte ich ein und legte sie in den Schrank; und nachdem ich die Tür des Schrankes verschlossen hatte, begann ich, die Scherben der fünf Gläser, die bei dem Vorfalle zu Bruch gegangen waren, zusammenzufegen und in den Abfalleimer zu werfen. Da der Abfalleimer voll war und nicht alles fassen wollte, nahm ich zusätzlich noch eine Plastiktasche, auf welcher eine dunkelhaarige Schöne abgebildet war, die einen blauen Badeanzug trug und irgendjemandem, der selbst nicht zu sehen war, ein Eis anbot. Die Frau gefiel mir; und wie ich sie betrachtete, schnitt ich mich mit einer der Scherben, die von den zertrümmerten Gläsern übriggeblieben waren, in den Zeigefinger der rechten Hand. Dies war sehr unangenehm; und da es zudem stark blutete, ging ich ins Bad und klebte ein Pflaster auf die Wunde. Zum Glück hatte ich Pflaster vorrätig, denn tags zuvor hatte ich welche gekauft. Hätte ich kein Pflaster gekauft, so hätte ich mein Taschentuch auf die Wunde legen müssen, und das war sehr schmutzig. Ich dachte, daß ich wohl bald Wäsche waschen muß; und dann werde ich auch wieder ein sauberes Taschentuch haben.

Als ich die Trümmer glücklich weggeschafft und den blutenden Finger verbunden hatte, setzte ich mich an den Tisch und legte ein Blatt Papier sowie einen Bleistift vor mich hin. Dann begann ich zu überlegen, was zu tun sei. Das mache ich immer so: Jedes mal, wenn ein Problem auftaucht und ich gezwungen bin, zu überlegen, lege ich zuallererst Papier und Bleistift auf den Tisch. Denn man weiß nie, was für Gedanken einem in den Sinn kommen, wenn man sich hinsetzt, um zu überlegen; und wenn man sie nicht rechtzeitig aufschreibt, vergißt man sie wieder, und alles war umsonst. Deshalb lege ich, wann immer ich anfange zu denken, Papier und Bleistift vor mich auf den Tisch.

Da mir nichts einfiel, rief ich bei Silvia an und sagte ihr, daß mein Staubsauger explodiert ist. Silvia kennt sich aus mit Staubsaugern; schon seit Monaten, wann immer sie bei mir zu Besuche weilt, legt sie mir nahe, doch endlich mal Staub zu saugen; und seit Wochen schon besucht sie mich überhaupt nicht mehr, weil sie findet, in meiner Wohnung sei es zu staubig. Ich vermisse sie sehr; und eben ihretwegen wollte ich heute Staub saugen. Wenn Silvia nicht wäre, wäre mein Staubsauger noch ganz; doch soll ihr daraus natürlich kein Vorwurf gemacht werden; und zudem macht es aufgrund der Spezifik meiner Beziehung zu solchem Gerät keinerlei Unterschied, ob ich einen ganzen Staubsauger besitze oder einen explodierten. - Als Silvia hörte, daß mein Staubsauger explodiert ist, lachte sie und sagte: "Das ist ein Ding!" Ich erzählte ihr von den fünf Gläsern, die dabei kaputt gingen und erwähnte auch, auch daß ich mich in den Finger geschnitten habe. Und erzählte ihr dann noch von der Frau in dem blauen Badeanzug mit dem Eis; worauf Silvia sagte, sie selbst sei die Frau in dem blauen Badeanzug mit dem Eis; und sie würde sich wundern, daß ich sie nicht erkannt habe. Ich legte den Hörer beiseite, holte die Plastiktasche unter dem Spülstein hervor und betrachtete die Frau noch einmal genauer. Tatsächlich: Es war Silvia. Sie arbeitet nämlich als Fotomodell. Ich stellte die Plastiktasche zurück unter den Spülstein; wobei ich mich durch die Tasche hindurch an einer der Scherben in den Zeigefinger der linken Hand schnitt. Ich ging ins Bad, um ein Pflaster auf die Wunde zu kleben; und wie ich wieder ans Telefon kam, fragte Silvia, warum ich so lange wegblieb. Ich sagte, daß ich mich schon wieder in den Finger geschnitten habe und daß ich ein Pflaster draufkleben mußte; und daß ich sie ansonsten nunmehr erkannt habe und daß ihr der blaue Badeanzug gut steht.

Silvia bedankte sich für das Kompliment und sagte, daß sie nun bald auflegen muß, da sie arbeitet. Ich fragte, was sie arbeitet; und sie antwortete, sie werde für ein alternatives Herrenmagazin fotografiert; und da der Fotograf kein eigenes Atelier habe, würden sie das bei ihr in der Wohnung machen. Er sei grad weggegangen, um neue Batterien für seinen Fotoapparat zu kaufen; aber er könne jeden Augenblick wiederkommen.

Ich setzte mich wieder an den Tisch und überlegte weiter.

Irgendwann läutete es. Ich ging hin und öffnete. Draußen stand Karl-Friedrich und sagte, er wolle mich besuchen. Ich ließ ihn herein; und dann erzählte ich ihm, daß mein Staubsauger explodiert ist und daß Silvia für ein alternatives Herrenmagazin fotografiert wird. Daß mein Staubsauger explodiert ist fand er außergewöhnlich; er sagte, sowas würde sehr selten passieren; und für ihn sei es überhaupt das erste Mal, daß er solches vernimmt. Noch interessanter aber fand er, daß Silvia für ein alternatives Herrenmagazin posiert; und kurzerhand rief er bei ihr an. Er fragte, wie es ihr geht und sagte, er habe gehört, mein Staubsauger sei explodiert. Silvia antwortete, es gehe ihr gut, und von dem explodierten Staubsauger hätte sie auch schon gehört; es sei außergewöhnlich, daß ein Staubsauger explodiert; und sowas könne auch nur mir passieren. Ich stutzte. Wieso meint sie, sowas könne nur mir passieren? Doch Karl-Friedrich ging nicht darauf ein und fuhr fort, er habe außerdem gehört, sie werde für ein alternatives Herrenmagazin fotografiert. Silvia bestätigte. Karl-Friedrich fragte, ob sie wieder den blauen Badeanzug trägt, den sie auf der Plastiktasche anhat; und Silvia fragte, was wir nur alle mit dem blauen Badeanzug haben. Badeanzüge seien für Herrenmagazine uninteressant; Pariser Wäsche würde sie tragen; das würde ihr besser stehen als ein Badeanzug, und auch die Wäsche würde sie noch ablegen. "Und darf man zuschauen, wie du geknipst wirst?" - fragte Karl-Friedrich. "Wenn du eine Flasche Champagner mitbringst, gerne," antworte Silvia. - Ich konnte das Gespräch in allen Einzelheiten mitverfolgen, weil ich ein Telefon habe, welches man auf "Mithören" stellen kann. Ein schwarzer Knopf unter dem Tastenfeld; und wenn man den drückt, kann man das Gespräch in voller Lautstärke hören. Ich hatte mir den Apparat vor zwei Monaten angeschafft, weil ich dachte, daß es doch sehr bequem ist, wenn man Gespräche mithören kann; und in der Tat: ich hatte mich nicht geirrt.

Karl Friedrich legte auf. Er sagte, er müsse jetzt leider gehen; und eilenden Schritts verließ er meine Wohnung, die er eben erst betreten, und ließ mich alleine mit meinen Gedanken und meinem explodierten Staubsauger.

Was für Problemlösungen mir bei meinen Überlegungen eingefallen sind, und ob mir überhaupt irgendetwas eingefallen ist, wüßte ich heut nicht mehr zu sagen, da durch eine überlaufende Badewanne sämtliche Aufzeichnungen vernichtet wurden.

© Raymond Zoller