Die Klamurke Belletristik
Ins Land des Lasters

Dr. Erwin Sopha




Dr. Erwin Sopha ist eine in solchem Maße ausgefallene Persönlichkeit, daß man ihn erst noch erfinden muß; wennauch andererseits hinwiederum eine solchermaßen typische, daß das Erfinden keine sonderlichen Probleme bereitet.

Wann er geboren wurde spielt in vorliegendem Zusammenhang keine Rolle; so daß wir uns um diese Frage nicht zu kümmern brauchen. Hauptsache, er ist da. Seine Eltern waren glücklich verheiratet und verstanden es auf das Beste, ihm eine geborgene und mit allen materiellen wieauch sonstigen Gütern versorgte Kindheit zu gewährleisten. In seinen frühen Jahren war er außergewöhnlich fromm; so fromm war er, daß er sogar im Kirchenchor sang, aus dem er dann später, nachdem er eine Mitschülerin geschwängert hatte, wegen unsoliden Lebenswandels ausgeschlossen wurde. Der Ausschluß aus dem Kirchenchor war für ihn ein schwerer Schlag. Sogar versuchte er, wieder ein gottgefälliges Leben zu beginnen; welches Bemühen er nach Schwängern einer weiteren Mitschülerin allerdings einstellte, alsda er einsah, daß er den Anforderungen eines solchen Lebens nicht gewachsen wäre.

Als er herangewachsen war, promovierte er; von daher das "Dr.", oder, genauer: „Dr. krab.“, weil er nämlich in Krabülistik promoviert hatte. Da aber die Krabülistik eine so seltene und kaum bekannte Wissenschaft ist und das „Dr. krab.“ leicht merkwürdig klingt, ließ er das krab beiseite und hängte es nur dann an, wenn er mit Krabülisten zu tun hatte; was jedoch, da es nur wenige davon gibt, nicht sehr häufig der Fall war.

Die einzige Möglichkeit, sich von Fachmann zu Fachmann über Krabülistik zu unterhalten, war an den alle vier Jahre jeweils am 29. Februar abgehaltenen Konferenzen; doch da man sich dazwischen mit niemandem über sein Fach austauschen konnte und die meisten Nichtkrabülisten die Krabülistik nicht einmal dem Namen nach kannten, kam man mit der Zeit aus der Übung; und so spielte man, um die Zeit sinnvoll auszufüllen, während der Konferenzen tagsüber Karten, und Abends ging man ins Puff. Nach der Konferenz gab man jeweils, wie es sich für eine wissenschaftliche Konferenz gehört, ein Bulletin heraus, darin in für Außenstehende nicht zu entschlüsselndem Fachjargon festgehalten wurde, wer gegen wen beim Poker und Skat wieviel verloren hatte, wer welche Witze erzählt hatte, was für Frauen man beim abendlichen Puffbesuch angetroffen und wer was mit ihnen angestellt hatte.

Von Erwin Sopha kam der Vorschlag, die akademische Geschlossenheit jener Konferenzen nicht mehr ganz so streng zu handhaben und außer promovierten Krabülisten auch Studentinnen einzuladen. Dies wurde einstimmig angenommen. Die Studentinnen fühlten sich geehrt, daß sie in diese gelehrte Gesellschaft Einlaß gefunden hatten und ließen es willig geschehen, daß nicht nur die Konfektion, die sie am Leibe trugen, sondern auch sie selbst als Einsatz dienten bei den zahllosen Skat-und Pokerrunden. Um Geld wurde seitdem nicht mehr gepokert; und auch den abendlichen Puffbesuch sparte man sich; höchstens, daß man, wenn nicht genug Studentinnen da waren, ein paar Mitarbeiterinnen jenes Etablissements ins Konferenzlokal bestellte.

Eine weitere auf Erwin Sopha zurückgehende bahnbrechende Neuerung besteht darin, daß man statt der immer mehr in Vergessenheit geratenden krabülistischen Inhalte als Krabülistik fortan das Verschlüsseln und Entschlüsseln der Konferenzbroschüren-Texte bezeichnete; wasalles dazu führte, daß er in die Geschichte einging und sich somit als würdig erwies, daß man seine Biographie schreibt.




Ins Land des Lasters

© Raymond Zoller