Die Klamurke Belletristik

Zwischenfliege

Die Verlosung der Milchfrau

Zweimal die Woche kam sie aus Kachetien nach Tbilissi und brachte mir Dickmilch und Käse in die Wohnung; und wenn sie Eier dabei hatte, kaufte ich auch Eier. Zum Mittagessen gab es dann Spiegelei; und so mehrere Tage lang, bis alle Eier aufgebraucht waren.

Die Milchfrau war Anfang dreißig, wirkte bieder und anständig und sprach sehr schlecht Russisch. Und da ich selbst noch viel schlechter Georgisch sprach, bereitete die Unterhaltung gewisse Probleme.

Anfangs kam es gelegentlich vor, daß sie nicht herausgeben konnte; dann ließ ich ihr das Geld als Vorauszahlung für das nächste Mal. Dieses Verfahren bewährte sich; und später bat sie mich ab und zu um größere Vorauszahlungen: Eines ihrer Kinder war krank; manchmal mußte sie dringend Medikamente kaufen. Auf solche Weise kam allmählich eine nicht unbeträchtliche Summe zusammen; doch sah ich keinen Grund, ihr nicht zu trauen und fand das so in Ordnung.

Eines Tages eröffnete sie mir, sie könne mir nächstes Mal ein Teil der vorausgezahlten Summe zurückgeben; und zwar könne sie das aufgrund irgendwelcher Lotterie.

Ich fragte, ob sie in der Lotterie gewonnen hat.

Nein. In der Lotterie hatte sie nicht gewonnen.

Ob sie ein Los gekauft hat und hoffe, in der Lotterie zu gewinnen?

Auch das nicht.

Und unvermittelt sagte sie in ihrem radebrechenden Russisch: Sie selbst sei der Gewinn.

Das war nun stark und erweckte, ganz natürlich, mein Interesse. Ich fragte nach: Das heißt also, man kann sie in der Lotterie gewinnen?

Sie bejahte; und in einem einigermaßen zusammenhängenden Russisch fügte sie hinzu: da sei ein Bus, in dem acht Frauen sitzen, eine davon sie. Und sogar zeichnete sie die Umrisse eines Busses auf, und darin acht Punkte. Diese Frauen, die in dem Bus sind, könne man gewinnen.

So bieder und läßt sich einfach verlosen? Vielleicht wegen des kranken Kindes? Oder sie hat einfach den Teufel im Leib und hält ihn bloß während ihrer Arbeit als Milchfrau unter Verschluß? Oder beides?

„Das heißt, wenn ich ein Los kaufe und dich gewinne, kann ich dich mit nach Hause nehmen?“ fragte ich.

Sie bejahte.

Ich versprach, daß ich mir ganz sicher ein Los kaufen werde. Und dann kam sie wieder auf die Rückzahlung der vorgestreckten Summe zu sprechen. Ich sagte, daß ich es für sie und für mich bequemer finde, wenn ich ihr das Geld als Vorauszahlung überlasse und, bis es aufgebraucht ist, zweimal die Woche wie gewohnt Ware dafür bekomme. – Sie antwortete, man werde das halten, wie ich es für richtig finde: Wenn ich will, bekomme ich für das Geld Ware; wenn ich will, gibt sie mir nächstes Mal das noch nicht in Ware umgesetzte Geld zurück.

Da sie das mit der Ware so merkwürdig betonte, fragte ich nach, was denn nun genau unter Ware versteht. Sie antwortete, leicht zerstreut: Ja nun, Käse, Milch, Dickmilch… und sonst noch so dieses und jenes… Das „dieses und jenes“ klang gemacht gleichgültig; und so merkwürdig lächelte sie dabei, daß mir schien, daß sie auch sich selbst zu dieser Ware hinzurechnete. Doch warum sollte sie sich nicht als Ware betrachten, wenn sie sich verlosen läßt…

***

Das nächste Mal, als sie kam, war mein Freund Jemal da. Der unterhielt sich mit ihr auf Georgisch; bei welcher Gelegenheit das Lotterieproblem eine ganz banale Lösung fand: in jenem Bus saßen acht Milchfrauen, die regelmäßig aus Kachetien nach Tbilissi fuhren, um ihre Waren zu verkaufen. Um sich während der Fahrt die Langeweile zu vertreiben, machten sie unterwegs irgendwelche harmlose Lotteriespiele; und bei einem dieser Lotteriespiele hatte sie gewonnen und erwartete die Auszahlung. Das war alles.

© Raymond Zoller