Die Klamurke Belletristik

Von Mäusen, Hunden, Katzen,
und paterjagenden Katern

Zwischenfliege

1) Die Maus in der Tüte

Auf dem Tisch in der Küche stand eine große Tüte mit Rosinen.

Jemand hatte sie dorthin gestellt, und nun stand sie da.

Aus dem Mausloch in der Ecke guckte eine Maus heraus und schnupperte. Sie roch die Rosinen; und da sie großen Hunger hatte, beschloss sie, welche zu essen.

Sie eilte zum Tisch, kraxelte am Tischbein hoch; und wie sie oben war, kroch sie in die Tüte zu den Rosinen.

Als sie eben angefangen hatte zu essen, kam Marianna in die Küche. Sie sah die große Tüte auf dem Tisch, fand, daß die da nicht hingehört, packte sie und stellte sie in den Kühlschrank.

Daß in der Tüte eine Maus sitzt, hatte sie nicht bemerkt.

Die Maus war nun im Kühlschrank gefangen. Im Kühlschrank war es kalt; aber es gab dort viel zum Essen. Wurst gab es da und Käse und auch Tomaten. Sie verließ die Tüte mit den Rosinen und probierte nacheinander all die anderen Speisen. Aber die Kälte machte ihr zu schaffen; und schon nach kurzer Zeit war sie erkältet und hatte Schnupfen.

Laut niesend kroch sie zurück in die Tüte, weil sie hoffte, daß es dort wärmer ist.

Unterdessen erinnerte sich Marianna, daß sie die Tüte mit Rosinen in den Kühlschrank gestellt hat und daß Rosinen nicht in den Kühlschrank gehören. Sie ging zurück in die Küche und holte die Tüte heraus aus dem Kühlschrank.

Daß eine Maus drin sitzt, merkte sie noch immer nicht.

Während Marianna die Tüte zum Schrank trug, kroch die Maus unbemerkt heraus und plumpste auf den Fußboden.

Marianna stellte die Tüte in den Schrank; und als sie dann die Küche verließ, schlüpfte durch die offene Tür ihre Katze herein.

Die Katze eilte zum Sofa, um zu schlafen. Denn es war eine sehr faule Katze, die am liebsten schlief.

Die Maus war durch das viele Essen und durch die Erkältung schwerfällig worden und bewegte sich mühsam, Schritt für Schritt, zu ihrem Mausloch hin. Und alle paar Schritte hielt sie inne, um zu niesen.

Durch das viele Niesen fühlte sich die Katze gestört, und sie konnte nicht mehr schlafen. Sie sah sich um, und wie sie die niesende Maus erblickte, sprang sie vom Sofa, packte sie und fraß sie auf.

Dann stieg sie zurück aufs Sofa, um weiter zu schlafen.

2) Die Maus und die Katze

„Drei Arten von Mäusen gibt es“, erklärte Igor, Mariannas Bruder. „Es gibt Mäuse, die von Katzen gefressen werden, Mäuse, die von Katern gefressen werden, und dann auch noch Mäuse, die weder von Katzen gefressen werden noch von Katern.“

Die beiden saßen an dem Tisch, auf welchem vor drei Tagen jene Tüte stand mit den Rosinen, unterhielten sich über Mäuse und tranken Tee.

„Und wenn eine Maus von einem Hund gefressen wird?“ fragte Marianna.

„Die gehört dann zu jener Art von Mäusen, die weder von Katern noch von Katzen gefressen werden,“ antwortete Igor.

Aus dem Mausloch in der Ecke guckte eine Maus und hörte zu.

Diese Maus hatte vor drei Tagen zugeschaut, wie ihre Tante, während sie sich krank und niesend zu dem Mausloch schleppte, von einer Katze gefressen wurde. Sehr schlimm hatte das ausgesehen; so schlimm, daß die Maus auf keinen Fall gefressen werden wollte; weder von einem Kater noch von einer Katze, und auch nicht von einem Hund.

Das Gespräch interessierte sie.

Um besser zuhören zu können, verließ sie ihr Mausloch und eilte unter den Tisch.

Auf dem Sofa lag derweil eine Katze, die interessiert zuschaute, wie die Maus aus dem Mausloch schlüpfte und zu dem Tisch eilte. Hätte die Maus die Katze gesehen, so wäre sie sicher in ihrem Mausloch geblieben; denn es war die gleiche Katze, die vor drei Tagen ihre Tante gefressen hatte. Aber sie sah die Katze nicht.

Der Katze gefiel es, daß die Maus so ruhig war und nicht nieste. Sie war ihr sympathisch.

Plötzlich ging die Tür auf, und herein kam der Hund. Er erblickte die Maus und packte sie.

Die Katze sprang vom Sofa und stürzte sich auf den Hund, um ihm die Maus zu entreißen.

Der Hund kannte die Katze sonst nur schlafend oder schlummernd und war sehr erschrocken ob dieses unerwarteten wilden Angriffs. Er ließ die Maus los und flüchtete.

Als die Katze zu ihrem Sofa zurückkehrte, gab sie unterwegs der Maus einen freundschaftlichen Klaps mit der Pfote.

Die Maus verstand, daß die Katze sie gerettet hat und daß sie sie nicht fressen wird. Und sie kroch hinauf auf das Sofa zu der Katze.

Die Katze umarmte sie mit ihren weichen Pfoten; und gemeinsam erholten sie sich von den schlimmen Problemen des Lebens.

3) Der Hund im Brunnen

Die Katze und die Maus freundeten sich an.

Gemeinsam auf dem Sofa liegend erholten sie sich von den Problemen des Lebens; und wenn schönes Wetter war, gingen sie gemeinsam spazieren. Die Katze ging dabei sehr langsam, weil sie faul war; und dafür musste die Maus, weil sie kurze Beine hatte, sehr schnell laufen, um mit der Katze Schritt zu halten. Wäre die Katze nicht so faul gewesen, so hätte die Maus noch viel schneller laufen müssen.

Eines Tages begegneten sie während eines gemeinsamen Spaziergangs dem Hund.

Der Hund stutzte; und schon stürzte er sich auf die Maus.

Doch noch bevor er die Maus erreicht hätte, ging die Katze zum Angriff über.

Der Hund, der große Angst hatte vor den Wutausbrüchen der Katze, ergriff sogleich die Flucht. Von der Katze gejagt, rannte er, verzweifelt jaulend, den Weg entlang.

Und fiel schließlich in einen Brunnen.

Es spritzte sehr.

Schließlich saßen die Katze und die Maus gemeinsam auf der Brüstung des Brunnens und guckten hinab in den tiefen Schacht, auf dessen Grund die Augen des Hundes leuchteten.

Und dumpf schallte aus der Tiefe sein verzweifeltes Jaulen.

„Er kann dort nicht bleiben“, sagte die Maus zu der Katze.

„Du hast Recht; aber was sollen wir tun?“ – antwortete die Katze.

„Wir können nichts tun“, bestätigte die Maus.

„Ich hol Marianna; vielleicht kann die ihm helfen“, beschied die Katze.

Und eilte davon.

Marianna war grad mit Gymnastikübungen beschäftigt und verstand nicht, was die Katze wollte. Die Katze setzte sich in die Ecke und versuchte, durch unablässiges lautes Miauen Marianna darauf aufmerksam zu machen, daß ihre Hilfe gebraucht wird.

Schließlich hörte Marianna auf mit ihren Gymnastikübungen und ließ sich von der Katze zu dem Brunnen führen, auf dessen Brüstung die Maus wartete und auf dessen Grunde der Hund jaulte.

Und sofort verstand sie, worum es geht.

„Sie braucht eine Leiter“, flüsterte die Maus.

Doch Marianna hatte schon so viel Gymnastik geübt, daß sie keine Leiter brauchte, um in einen Brunnenschacht hinabzusteigen. Geschickt kletterte sie, sich an den Wänden abstützend, hinab; und zusammen mit dem Hund verließ sie kurz darauf den Brunnen.

Der Hund schüttelte sich; denn er war sehr nass.

Es spritzte sehr.

Dann schaute er voll Dankbarkeit die Maus an und die Katze.

Er verstand, daß die beiden sich um seine Rettung gekümmert hatten.

Seitdem waren die dreie – der Hund, die Katze und die Maus – gute Freunde und gingen regelmäßig gemeinsam spazieren.

4) Ein paterjagender Kater

An einem sonnigen Sonntagmorgen gingen der Hund, die Maus und die Katze im Walde spazieren. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und sehr angenehm war es und sehr friedlich.

Plötzlich stürzte aus den Büschen zur Linken eine hochgewachsene Gestalt in langer brauner Kutte.

Sie blickte kurz nach rechts zu unseren Freunden, wandte sich nach links und rannte mit flatternder Kutte vor ihnen den Weg entlang.

Und dann brach aus den Büschen ein Kater, blickte sich um und schickte sich an, der davoneilenden Gestalt hinterherzulaufen.

„Was ist los?“ rief die Katze.

„Das siehst du doch!“ Der Kater blickte die dreie an und blieb stehen. „Ich jage einen Pater.“

„Was ist ein Pater?“ fragte die Katze.

„Der Typ, der jetzt grad da vorne läuft, ist ein Pater“, antwortete der Kater. „Den jage ich.“

Der Pater, der schon sehr weit weg war, bog ab in die Büsche und war nicht mehr zu sehen.

„Jetzt muß ich ihn suchen“, sagte der Kater vorwurfsvoll. „Weil du mich abgelenkt hast“.

„Aber was willst du von ihm?“

„Was soll ich von ihm wollen? Nichts will ich von ihm.“

„Aber wieso jagst du ihn?“

„Weil es Spaß macht, Pater zu jagen. Und weil es reimt.“

„Was reimt?“

„Pater auf Kater. Ich bin ein paterjagender Kater.“

„Verstehe“, antwortete die Katze. Aber man merkte, daß sie rein gar nichts verstand.

„Und gibt es viele von eurer Sorte?“ fragte die Maus.

Statt zu antworten stürzte der Kater sich auf die Maus. Doch bevor er sie erreicht hätte, zerkratze ihm die Katze mit ihren scharfen Krallen das Gesicht.

Der Kater wich zurück; und ohne noch etwas zu sagen rannte er los, den Weg entlang, wo vorhin der fliehende Pater lief. Und war alsbald außer Sicht.

„Sachen gibt’s…“ sagte der Hund kopfschüttelnd. „Paterjagende Kater…“

„Und all das nur, weil es reimt“, piepste die Maus; und wenn sie breitere Schultern hätte, so hätte man sehen können, wie sie die Achseln zuckt.

In angeregter Unterhaltung über paterjagende Kater spazierten unsere Freunde weiter den Weg entlang; bis sie an eine Wegkreuzung kamen.

An dieser Wegkreuzung hörten sie plötzlich lautes energisches Miauen; und schon rannte mit flatternder Kutte der bereits bekannte Pater auf die Kreuzung zu, und gleich hinter ihm der Kater.

Wie sie die Kreuzung erreicht hatten, stürzten der Hund und die Katze sich auf den Kater und warfen ihn zu Boden.

Der Pater lief weiter; blickte sich um und blieb stehen.

Während der Hund mit seinen Pfoten den Kater zu Boden drückte, zerkratzte ihn die Katze mit ihren Krallen, und die Maus biss ihn in die Ohren.

Schließlich ließen sie ihn los.

Der Kater schüttelte sich kurz und stürzte sich mit wütendem Miauen auf den Pater.

Doch sofort wurde er vom Hund und von der Katze wieder gepackt. Die Katze sagte streng, man würde ihm nicht gestatten, in ihrer Gegenwart Pater zu jagen. Sie ließen ihn los.

Mit resigniertem „Miau“ wandte er sich um und trottete den Weg zurück, den er gekommen.

Der Pater trat auf die dreie zu, verneigte sich, segnete sie; und zu viert spazierten sie weiter in trauter Gemeinsamkeit.

Verfasset für meine fleißige Deutschschülerin Марианна
vielleicht als Anlauf zu einem Deutschlehrbuch für Russischsprachige

© Raymond Zoller