Die Klamurke Belletristik

Emil

Wer einen falschen Knopf drückt, muß damit rechnen, daß dadurch Dinge passieren, die nicht beabsichtigt waren.

So erging es seinerzeit Otto Plommwein.

Plommwein saß an seinem Computer und schickte sich an, das Wort "Esel" zu tippen. Denn er schrieb einen Brief an seinen Freund Hürgokh, der ihn beleidigt hatte; und weil Hürgokh ihn beleidigt hatte, wollte er ihm mitteilen, daß er ein Esel ist.

Eifrig bewegten sich seine Finger über die Tastatur und drückten Taste nach Taste; doch statt "Esel" erschien, ganz unerwartet, auf dem Bildschirm das Wort "Emil".

Und kaum hatte Plommwein sich Rechenschaft abgelegt, daß er durch Drücken falscher Tasten statt "Esel" "Emil" geschrieben hatte – wie hinter seinem Rücken ein lautes Rumpeln ertönte.

Er wandte sich um und sah, wie die Wand seines Wohnzimmers, die er bislang als richtige massive Wand kannte und hinter welcher er sein Badezimmer vermutete, sich in zwei Teilwände aufgeteilt hatte, welche sich langsam, die eine nach rechts, die andre nach links, auseinanderschoben. Und dahinter erschien statt seines Badezimmers ein nach unten führender felsiger Gang, dessen Fortsetzung sich in schwärzester Finsternis auflöste.

Aus dieser schwarzen Finsternis schälte sich eine Gestalt heraus, die langsam näher kam und sich im Näherkommen als grüngesichtiges Männchen mit roter Zipfelmütze entpuppte. Kurz vor dem Spalt, der sich aufgetan hatte, an einer Stelle, wo eigentlich Plommweins Badewanne stehen sollte, machte es Halt.

Plommwein wunderte sich sehr.

"Du hast Emil geschrieben", sagte das Männchen.

"Was geht dich das an?" rief Plommwein unwillig.

"Ich bin Emil", antwortete das Männchen.

"Egal wie du heißt; du hast hier nichts zu suchen. Verschwinde!"

"Aber warum hast du mich gerufen, wenn du willst, daß ich verschwinde?"

"Niemand hat dich gerufen!" – brüllte Plommwein. "Verschwinde!" – Und etwas friedfertiger fügte er hinzu: "Doch vielleicht kannst du mir vorher erklären, warum die Wand sich auseinanderschob? Und warum dahinter nicht mein Badezimmer ist?"

"Wenn du bislang der Ansicht warst, hinter der Wand sei dein Badezimmer, so bedeutet das nicht, daß hinter der Wand dein Badezimmer sein muß", antwortete das Männchen.

"Hinter der Wand hat mein Badezimmer zu sein!" schimpfte Plommwein. "Es war dort, ist dort, und wird dort bleiben; ganz egal, was du sagst und was du tust. Mit ein paar Taschenspielertricks so tun, als sei da kein Badezimmer – so kann jeder kommen. Laß mein Badezimmer wieder erscheinen und verschwinde, sonst hol ich die Polizei!"

"Auch wenn ich verschwinde, so ändert das nichts daran, daß hinter der Wand nicht dein Badezimmer ist", antwortete Emil ungerührt.

"Jetzt reicht's mir aber!" – brüllte Plommwein und stürzte ans Telefon, das zum Glück noch immer an der gewohnten Stelle stand, und rief bei der Polizei an.

Die Polizei verstand nicht, was er wollte, und legte nach kurzem, aber kompliziertem Gespräch den Hörer auf. Da er aber beharrlich immer wieder anrief, schickte man schließlich ein paar Polizisten vorbei.

Die Polizisten wunderten sich über den merkwürdigen Felsengang, der aus Plommweins Wohnzimmer nach unten irgendwohin ins Dunkel führte, aber sie maßen dem weiter keine Bedeutung bei. Sie brachten Plommwein an einen Ort, an welchen man ihrer Meinung nach Leute zu bringen hat, die solch merkwürdige Sachen erzählen, und seitdem ist er verschwunden.

Was der Emil jetzt macht, wissen wir nicht.

Iss auch egal.

© Raymond Zoller