Die Klamurke Belletristik

Ansprache des lieben Gottes anläßlich der Abschaffung des achten Gebots

Da hab ich euch doch seinerzeit gesagt: Du sollst kein falsches Zeugnis geben. Aber wisst ihr denn überhaupt, was richtiges Zeugnis ist und was falsches? Hä? Statt euch die Dinge selber anzugucken, lauft ihr allen möglichen Päpsten und Gurus hinterher und schlagt euch gegenseitig die Köppe ein im Kampfe um die Oberhoheit des jeweils Einzig Wahren Wahrheitsträgers. Ist es nicht so?

He du, ja du da vorn, sag mal, wie groß ist der vierte Teil von acht? Sprich frei und offen und fürchte mich nicht! Wie siehst du das? – Ach so; du musst erst eine neue Batterie in deinen Taschenrechner reintun; verstehe. Gut, warten wir. – Aber sag mir: Wird das dann auch stimmen? Hä? – Ach so, diese Rechner, sagst du, sind zuverlässig, und es kommt nie was Falsches raus. Das ist natürlich gut. Aber überprüfen kannst du es nicht? – "Wozu?", frägst du? Weiß ich auch nicht. Aber wenn auf einmal bei einem Rechner zwei rauskäme und bei einem andern drei was dann? – Ach so; dann wird der Durchschnitt genommen. Und mit welchem Rechner wird der berechnet? – Das entscheidet die Wissenschaft, sagst du? Gut; ich wünsche dir denn viel Glück.

Doch nun sagt mir, meine lieben Freunde: Wer vermag hier noch zu unterscheiden, was wahr ist und was falsch? Wer ist hier noch in der Lage, zu lügen? Was soll ich da mit meinem achten Gebot? Weg damit!

© Raymond Zoller

Zwischenfliege