Die Klamurke Notizen von unterwegs

Von Zielen und Weihnachtsmännern

[aus einem Brief vom Oktober 2008]

[...]

Vorhin schaute ich bei Xing vorbei und sah, daß einer der sich auf meiner Kontaktliste befindlichen Zeitgenossen ein neues Motto in sein Profil eingefügt hat:

"Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind günstig."

Diese satte Selbstgefälligkeit ärgerte mich.

Natürlich hätte ich mich an ihn mit der Frage wenden können: Wo denn in einem solchen Weltbild Kolumbusse1 Platz haben? Leute, die nicht an Ziele glauben, an denen sie sich auf die faule Haut legen können, sondern nur an den Weg?

Doch bin ich sicher, daß er das nicht verstanden hätte; und wozu sich mit Leuten herumärgern, die bereits alles gefunden haben und fertig sind...

Deshalb schrieb ich dir diese kurze Anmerkung. Immerhin haben wir uns über dieses Thema bzw. das Umfeld davon mal unterhalten... Und irgendwie hatte ich das Bedürfnis, mich zu äußern...

Wenn jemand mir darlegen will, wie wichtig Ziele sind, so iss det für mich fast genau so idiotisch, wie wenn er will, daß ich an den Weihnachtsmann glaube...

[aus einem Brief vom September 2008.
In dem Brief, auf den ich antworte, gab es eine Stelle "Wer starr ein Ziel verfolgt, den Weg nur darauf ausrichtet, übersieht leicht die Blumen, die hinter dem Baum am Wegesrand wachsen.", auf die ich mich im Weiteren beziehe.]

Sehr gut gesagt. Aber ich fürchte, daß die meisten det nicht verstehen. Genauer g’sagt: ich weiß, daß die meisten das nicht verstehen, da ich selbst immer wieder Zusammenstösse habe mit dem allgegenwärtigen mich der Ziellosigkeit bezichtigenden Ziel-Götzendienst.

Das einzige Ziel, das ich selbst anerkenne, ist die bewußt geführte Bewegung; und Ziele im herkömmlichen, statischen Sinn kommen für mich höchstens als ungefähre Orientierungspunkte in Frage, die ich irgendwo in die Zukunft vor mich hingestellt habe; sonst sind sie zu nix nütze.

Ein Ziel, welches ich mir gesetzt habe, ist, zumindest in meiner Vorstellung, bereits vorhanden; und das Erreichen eines Zustands, der mehr oder weniger mit meiner bereits gebildeten Vorstellung zusammenfällt, iss doch im Grunde eine langweilige Angelegenheit, da es ja eigentlich gar nix Neues bringt.

[Interessant in diesem Zusammenhang sicher auch noch der "Scheitern"-Aufsatz, die Sache mit den Zauberkünstlern und Stripperinnen, und vieles andere ließe sich noch nennen, da es sich immerhin um ein zentral klamurkisches Thema handelt]

Nachträgliche Anmerkung:

Wer offenen Sinnes ist, der weiß von keinem angesteuerten Hafen. Er nutzt die Winde, die wehen, um neue Häfen zu entdecken; und deshalb sind für ihn alle Winde günstig.

Wer aber klar und bestimmt, unter Vermeidung von Abweichungen und Zwischenfällen, auf kürzestem Wege von einem Punkt zum andern sich begeben möchte, der soll von qualifizierten Personen vorbereitete wohlgeprüfte Wege und Beförderungsmöglichkeiten benutzen. Viel Interessantes wird er dabei nicht entdecken und auch kaum Neues erleben; aber er wird – so lange zumindest, als die Wege und Beförderungsmöglichkeiten in gewohnter Weise funktionieren – auch keine Probleme haben.


1) Der Vergleich ist, wie mir bewußt, nicht ganz stimmig: Kolumbus hatte zunächst ein festes Ziel vor Augen, an das er glaubte. Jedoch: als dann alles ganz anders kam als erwartet, betrachtete er diese Abweichung nicht als Scheitern, sondern machte im Einklang mit den sich bietenden Bedingungen unbekümmert in unbekannte Richtung weiter.

Raymond Zoller