Die Klamurke Notizen von unterwegs

Episodisches

Espressoprobleme Fliegende Hose Von Monaden und Armbanduhren Von Fliegen und Fliegern Von intelligentem Volks zu Zeiten des Kulturverfalls Von radioaktiven Autos und Kühlschränken Von verbogenen Wahlplakaten

Espressoprobleme

Spindelexplosion

Freitag, 7. November 2008, Odessa

Daß zentrifugierter Espresso besser schmeckt als jeder andere ist einem jeden, der ihn probiert hat und der über einen gesunden Espressosinn verfügt, bekannt.

Daß Espressozentrifugen zur Eifersucht neigen und vor Eifersucht explodieren können – wohl den wenigsten.

Da die mir seit Jahren vertraute Picco-Espressozentrifuge nicht mehr verkauft wird und man entsprechend auch keine Ersatzteile bekommt, suchte ich neugierdehalber im Internet, was es sonst noch für Espressozentrifugen gibt.

Ich fand nix.

Als ich anschließend mit meiner vertrauten Espressozentrifuge einen Espresso bereiten wollte, explodierte die Spindel. Offenbar hatte sie meinen Anlauf zum Fremdgehen bemerkt.

Das war’s denn wohl mit dem zentrifugierten Espresso…

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2. Februar 2012, Montenegro

Tief in Gedanken versunken stand ich neben der Espressomaschine, während sie dröhnend heißes Wasser durch die Kaffeemasse preßte. Das Aussetzen des Dröhnens riß mich aus meinen Gedanken heraus; und wie ich mir die mich umgebende Welt mitsamt Espressomaschine wieder richtig zu Bewußtsein gebracht hatte, da verstand ich, daß da keine Tasse stand; daß der ganze Espresso ins Auffangbecken geflossen ist und, weil ins Auffangbecken nicht alles reinpaßte, weiter auf den Tisch. – Aber sonst hatte ich alles richtig gemacht.

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Montenegro

Irgendwie zerstreut.... Bereitete Espresso. Kein Zucker mehr in der Dose. Ergriff Zuckertüte, um Dose aufzufüllen. Als der Kaffee überlief, weil vor lauter Zucker kein Platz mehr in der Tasse war, merkte ich, daß ich den Zucker statt in die Dose in die Tasse schüttete. Bereite frischen Espresso und bin nun vorsichtiger.

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Montenegro

Komm nicht richtig in Fahrt heut'. Am Morgen verschluckte ich mich gleich am ersten Schluck Espresso, mußte husten und verschüttete den Rest auf den Fußboden. Ist mir noch nie passiert. Daß eine stolpernde Kellnerin mir ein Tablett mit gefüllten Espressotassen auf den Kopf warf – ja, sowas hat's schon mal gegeben. Aber daß ich mich am Espresso verschlucke – heute zum ersten Mal. Und ich verstand sofort: der Tag geht daneben.

Fliegende Hose

Auf einem Balkon eine im Wind mit den Beinen zappelnde schwarze Hose. Das war vorhin. Jetzt seh ich, wie sie, schon nicht mehr zappelnd, sondern frei den Bewegungen des Windes folgend, sich hoch in die Lüfte erhebt.

Wer sie auf den Balkon gehängt hat, muß sich nun eine neue schwarze Hose kaufen.

Von Monaden und Armbanduhren

Samstag, 7. August 2004 * Tbilissi

Gestern abend noch längerer Spaziergang; traf mich mit Dzemal und einem Menschen namens X; saßen eine Zeitlang frozzelnd auf einer Parkbank (der auf gebildet machende und nicht sehr humorstarke X hatte bei dem Gefrozzel etwas Mühe) und gingen dann wieder auseinander. Wie wir zum Abschluß unseres Treffens, noch auf der Parkbank sitzend, auf die Uhr schauten, brachte ich mein Erstaunen darob zum Ausdruck, daß unsere Uhren die gleiche Zeit zeigen; und da unsere vorangegangene Unterhaltung denn schon mal recht gebildet gewesen war (meinerseits locker frozzelnd, seitens X verbissen ernst, wennauch nicht sehr kompetent) führte ich das auf eine prästabilisierte Harmonie zurück und erwähnte dabei, natürlich, Leibnitz. X begann in vollem Ernste von Leibnitz zu faseln (wobei ich merkte, daß er sich sogar noch weniger auskennt als ich und die durch prästabilisierte Harmonie aufeinander abgestimmten Monaden nicht einmal dem Namen nach kennt); Dshemal hörte andächtig zu und wollte mehr über die prästabilisierte Harmonie wissen; ich sagte, bereits mich entfernend, das sei alles nur ein Witz gewesen, und er soll das mit den prästabilisierten Harmonien am besten vergessen. Denn wozu sich sowas merken? Um gebildet zu sein und um mitreden zu können? Unnötiger Aufwand.

Von Fliegen und Fliegern

Freitag, den 16.September 1994 *Moskau

X erzählte von einem deutschen Arzt, der als Kapazität gilt; sie fand, daß der in seinem Denken sehr sprunghaft ist. Zur Illustration brachte sie eine Episode, die sich bei einem Vortrag abspielte, den sie simultan übersetzte. - Lang und breit berichtete Dr. W. von irgendwelchen Untersuchungen an Heuschrecken und sonstigen Insekten, und erwähnte schließlich, man habe festgestellt, daß bei Fliegen während der Landung der Blutdruck bis zu xxx ansteigen kann. X fand das merkwürdig; und sicherheitshalber fragte sie auf deutsch nach, was er denn damit meine. - Nun, die sind halt aufgeregt, - erläuterte Dr. W. - Weitere Nachforschungen ergaben, daß Dr. W. ohne Vorwarnung das Reich der Insekten verlassen hatte und nicht von Fliegen sprach, sondern von Fliegern.

Oder Piloten, wie man sie auch noch nennt.

In Russland Notiertes

Von intelligentem Volks zu Zeiten des Kulturverfalls

Donnerstag, den 8.August 96; Moskau

Gestern in der Redaktion Unterhaltung über den Kulturverfall; wie das Schreiben immer sinnloser wird. - Beim Herumstreunen durch die Stadt sah ich dann mehrfach Polizisten mit intelligenten Gesichtern, die sich - offenbar nicht dienstlich - die Auslagen von Büchertischen anschauten; einmal auch in der pädagogischen Buchhandlung. Hab ich schon öfter erlebt, daß es zu Konzentrationen irgendwelcher typischer Momente kommt; erinnere mich grad an eine Episode, da in einem kurzen Zeitraum alle möglichen Leute - darunter auch ich - alles mögliche fallen ließen. In Bonn war das; in der Nähe des Bahnhofs. Oder jener Tag - das war in der Zeit, als ich noch am Botanichesky Pereulok wohnte -, an dem ich mehrfach nur mit knapper Not der Kollision mit einer sich direkt vor mir nach außen öffnenden Tür entging. Und noch sehr viel mehr Beispiele könnte man bringen. Und gestern halt die in Büchern blätternden intelligente Polizisten. Wie weit da ein Zusammenhang besteht mit eingangs erwähnter Unterhaltung - weiß nicht.

Klar ist, daß man das als einen Hinweis auffassen kann darauf, daß die Intelligenz, die in «intelligenten» Berufen offenbar nicht mehr gebraucht wird, sich auf alle möglichen anderen Berufe verteilt.

In Russland Notiertes

Von radioaktiven Autos und Kühlschränken

Samstag, den 6.Juli 96 * Moskau

Wurde dann sehr früh, kurz nach Aufstehen, durch einen Anruf von Shenja F. abgelenkt. War grad beim Frühstückmachen, beim Broteschmieren, als das Telefon läutete; und das ging dann bis genau neun Uhr. Hätte nicht sein müssen; aber es war.

Interessant die Information über systematisches Marodieren nach der Tschernobyl-Katastrophe. Shenja - der selbst aus Kiew stammt - erfuhr davon Anfang der neunziger Jahre anläßlich eines Besuches bei seiner Schwester und seinem Schwager; letzterer schien nicht abgeneigt, sich selbst dieser Tätigkeit hinzugeben; oder gab sich ihr bereits hin und wollte sie ausweiten (waren Störungen in der Leitung; verstand nicht alles so genau).

Tschernobyl wurde ja bekanntlich nach der Katastrophe Hals über Kopf verlassen. Geräumt. Es sei ein recht wohlhabendes Städtchen gewesen; und all die Gegenstände, die einstens den Wohlstand seiner Bewohner ausmachten, blieben zurück: Autos, Wohnungseinrichtungen... Und die - wurden nun eingesammelt und verkauft. Manche haben sich auf solche Weise gar sehr bereichert. Die eingesammelten radioaktiv verseuchten Autos, Kühlschränke, Möbel wurden in der Regel etwas unter dem üblichen Preis verkauft; was, da man ja nichts investiert hatte, trotzdem einen recht guten Gewinn ergab. Ja nu; seine Gesundheit hatte man natürlich investiert; doch war man ja bestrebt, sich nicht zu lange mit diesem radioaktiven Kram herumzuplagen und ihn möglichst schnell abzustoßen; die Hauptdosis bekamen natürlich die Käufer ab.

Doch die Käufer wußten ja nix davon; und: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß...

All dies erzählte mir Shenja.

Von verbogenen Wahlplakaten

18. November 90 * Dortmund

Kräftiger Wind bis Sturm. An der Borussiastraße umgestürztes Wahlplakat. Stellenweise hängt es noch in der Verankerung; wirr nach hinten gebogen. Ließe man es auf sich wirken, könnte es einen makabren Eindruck vermitteln. Doch ist man des Makabren entwöhnt... Weil fast alles makaber ist. Unter anderem die Tatsache, daß überhaupt solche Plakate aufgestellt werden. So flüchtet man sich in dichte Nebelschwaden, um nicht verrückt zu werden.

Aber wohltuend doch, daß der Sturm solche Plakate umschmeißt. Vielleicht wird er noch stärker? Vielleicht schmeißt er noch mehr Plakate um? Alle? Vielleicht nicht nur die Plakate? (...) Diese schleimige Masse muß ihm doch sehr zuwider sein. Soll er doch reinfahren!

Raymond Zoller