Die Klamurke Notizen von unterwegs

Von der Zahlenmystik

(aus einem Notizbuch irgendwann Ende 2010)

Nun beginnt bald ein neues Jahr. Und sogar ein neues Jahrzehnt.

Doch warum veranstaltet man deswegen einen solchen Hokuspokus?

Versteh ich nicht.

Dass ein neues Jahr beginnt, basiert auf bestimmten astronomischen Gegebenheiten und ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Aber trotzdem kein Grund, einen solchen Aufstand zu machen.

Als das Jahr 2000 anzubrechen sich anschickte, erwarteten mystisch und auch weniger mystisch veranlagte die unterschiedlichsten schwerwiegenden Ereignisse.

Wer aber – ob mystisch veranlagt oder nicht – klein wenig die elementare Arithmetik beherrschte und sich von dieser Nullenhysterie nicht betäuben ließ, der wusste, dass diesen Nullen überhaupt keine besondere Realität zugrundeliegt; außer halt der Tatsache, dass wir die Zahlen im Zehnersystem ausdrücken.

Ja nu; um ein paar Ecken herum hängt die Tatsache, dass wir unsere Zahlen im Zehnersystem ausdrücken, vielleicht damit zusammen, dass wir zehn Finger haben und früher, bevor wir Zahlensysteme schufen, mit den Fingern abzählten; weiß nicht. Hätte man in ähnlicher Weise ein Zwölfersystem geschaffen – etwa, weil die 12 so schön viele Teiler hat oder auch aus irgendwelchen astronomischen Gründen – so hätten wir nun ein Zwölfersystem. Oder wenn wir nur acht Finger hätten, oder aus was für Gründen auch sonst, wäre vielleicht das Achtersystem entstanden; und jenes Jahr, welches uns im Zehnersystem die geheimnisvollen drei Nullen bescherte, wäre unauffällig als das Jahr 3720 gekommen und wieder gegangen (ja nu, immerhin als Abschluss eines Jahrachts).

Irgendwas Substantielles steckt nicht hinter diesen drei Nullen, die vor zehn Jahren für so viel Aufregung sorgten; genauso wenig wie hinter der einen Null des laufenden Jahres, welche von einem zu Ende gehenden Jahrzehnt kündet. Hätten wir das Achtersystem, so würden wir nicht von Jahrzehnten sprechen, sondern von Jahrachten, und dieses unser Jahr würde unscheinbar als 3732 erscheinen, 2 Jahre nach der letzten und 6 Jahre vor der nächsten Null.

Womit ich nicht bestreiten will, dass es sowas wie eine reale Zahlenmagie, Zahlenmystik oder wie immer man das nennen mag, geben kann. Aber um an diese Magie ranzukommen muß man sich doch aber den Zahlen zuwenden und nicht deren Erscheinungsformen in irgendwelchen Zahlensystemen, und noch viel weniger den Formen der Zeichen, mit denen man die Erscheinungsformen kennzeichnet.

Das heißt, statt mit Zeichen, ob rund oder nichtrund, herumzujonglieren, sollte man zumindest sich mal in die elementare Arithmetik einarbeiten. Alles andere gibt nur wirres Hokuspokus.

Nachbemerkung März 2024

Das Nullentheater hat mich damals amüsiert; und noch mehr amüsierte mich das Gemache Jahre vorher, als man mit drei Nullen auf einmal zu tun hatte.

Dass zahllose Zeitgenossen sich nicht des Unterschieds bewusst sind zwischen Begriff und Bezeichnung des Begriffs – war mir auch damals schon deutlich; die fehlende Unterscheidung zwischen dem Begriff einer Zahl und dessen Bezeichnung innerhalb eines Zahlensystems ist hiervon nur ein Spezialfall.

Die Zeiten ändern sich; dass aufgrund des anhaltenden kulturellen Verfalls Veränderungen anstehen und alles immer schwieriger und katastrophaler wird – war mir bereits Ende letzten Jahrtausends bewusst; dazu brauchte ich keine mit eingepusteter Bedeutung aufgeblasene Nullen.

Sicherheitshalber sei noch angemerkt, dass man die Ziffernfolge 3720, welche im Achtersystem die im Zehnersystem als „2000“ erscheinende Zahl zum Ausdruck bringt, auf keinen Fall, wie im Zehnersystem gewohnt, „dreitausendsiebenhundertzwanzig“ lesen darf; das wäre sehr viel mehr als gemeint. Eine dem Achtersystem angepasste Benennung zu erfinden bin ich grad zu faul; einfach „drei-sieben-zwei-null“ lesen, und schon sind alle Probleme gelöst.

Das gleiche gilt für die im Achtersystem erwähnte Jahreszahl drei-sieben-drei-zwei.

Nachbemerkung zur Nachbemerkung

In leiser Blödelstimmung ergab sich mir vorhin ein Ansatz zur Benennung der Zahlen im Achtersystem. Er sei festgehalten:

Entsprechend würde man die im Achtersystem in der Ziffernfolge 3720 erscheinende Zahl „Dreiseil-siebenkatz-zweifing“ nennen. - Die gleiche Zahl also, die im Zehnersystem als 2000, zweitausend erscheint.

So isses

… und ein paar Stunden nach Niederschrift obiger Nach-Nachbemerkung regte sich mein Gewissen
und flüsterte mir zu: das Geschriebene sei vielleicht nicht für jeden verständlich; aber fairerweise sollte ich für allfällige Leser, deren Interesse geweckt wurde, das doch etwas ausführlicher erklären.

Gut. Erklären wir denn.

Im Zehnersystem erscheint eine Zahl nach dem Muster a100+b101+c102+d103 … usw…; nur halt in umgekehrter Reihenfolge.

Eine eigene Ziffer für die Zahl 10 gibt es im Zehnersystem nicht; im Zehnersystem haben wir nur die Ziffern von Null bis 9.

In dem blödelnderweise vorgestellten Achtersystem haben wir gar nur die Ziffern von 0 bis 7; die 8 erscheint als 10, eins-null, und wurde von mir in „Fing“ umbenannt.

Hätte ich mich statt mit dem Achter- mit dem Zwölfersystem herumamüsiert, so wäre das alles noch viel komplizierter worden. Da müssten sich die Zahlen zehn und elf in Ziffern verwandeln; das heißt, ich müsste für die beiden noch zwei Zeichen mitsamt Bezeichnung hinzuerfinden.

Aber machen wir es zum Abschluss im Zwölfersystem.

Im Zehnersystem bekommen wir da 1x123 + 1x122 + 10x121 + 8x120

Um es im Zwölfersystem zu schreiben müssen wir für die 10 eine Ziffer erfinden. Nehmen wir der Einfachheit halber das russische Д; und dann erhalten wir im Zwölfersystem

11Д8

Iss doch nett; nich?

Schlussbemerkung ein paar Tage später…

In leichter Blödelstimmung ergab sich mir ein Ansatz zu der in obigem Geschreibe zunächst unterlassenen Benennung der Zahlen im Achtersystem.

Die Blödelstimmung lässt mich nie im Stich; ganz egal wie katastrophal ringsum und ansonsten alles sein mag.

Ich erledigte das dann und aktualisierte den Text in der Klamurke wieauch auf Substack.

Allem Geblödel zum Trotz ist das alles richtig und vollauf stimmig.

Ich erinnerte mich an einige Bücher von Louis Locher-Ernst, die mich über Jahre hinweg begleiteten. Jetzt nicht mehr, da meine Bücherbestände im Laufe der Jahre bei meinen wirren Reisen über verschiedene Länder dieser unserer Welt hin verteilt wurden… Hätte jetzt sowieso nicht mehr die Kraft, mich da richtig reinzuknien. Meine eigentliche Stärke liegt im Sprachlichen.

Soweit mir bekannt wäre der Locher-Ernst, der als Mathematikprofessor an irgendeiner Universität arbeitete, beinahe im Goetheanum-Vorstand gelandet; doch kam er vorher bei einem Unfall im Gebirge ums Leben. Allerdings glaube ich nicht, dass man ihn, auch wenn er am Leben geblieben wäre, dort aufgenommen hätte, da sein lebendiges Denken den behäbigen Wahrheitsbesitz gar sehr gestört hätte.

Ich erinnerte mich nun auch, wie ich am Gymnasium leichte Probleme hatte mit der Mathematik; obwohl ich dauernd das Gefühl hatte: dass da einiges drinsteckt, an das ich rankommen könnte und müsste.

Später verstand ich dann, dass mein damaliges schulisches Versagen mit dem dort vertretenen begriffsfernen Nominalismus zu tun hatte. Dem Namen nach machte man, zum Beispiel, einen Unterschied zwischen Multiplikand und Multiplikator. Aber der begriffliche Unterschied kam nicht recht zum Bewusstsein; auch nicht – wie mir rückblickend scheint – bei den Mitschülern und den Lehrern. Und weil man dies nicht richtig packte, blieb auch manches damit Verbundene im Nebel.

Griffig wurde mir der begriffliche Unterschied zwischen Multiplikand und Multiplikator dank Locher-Ernst; und durch vieles andere in der Schule nominalistisch-rezeptmäßig Durchgenommene schimmerte die verborgene Begrifflichkeit durch.[1]

Auch erinnerte ich mich einer fast schon vergessenen Phase, wie ich vor vielen Jahren, während des Durchbrechens der Nominalismus-Decke, mich mit Nachhilfeunterricht über Wasser hielt. Da gab es ein paar Mathematik-Versager, die sich durch meine Nachhilfe in begeisterte Mathematiker verwandelten. Sogar damals war mir verständlich: sie versagten nicht, weil sie unbegabt waren, sondern weil ihre Realbegabung nix mit dem nominalistischen Gemache anfangen konnte.

Das zunächst vielleicht verwirrende Herummachen mit den unterschiedlichen Zahlensystemen und den wechselnden Benennungen kann nach und nach zu einer bewussten Trennung der in unserem Alltagsbewusstsein ihr Unwesen treibenden fatalen Verflechtung von Begriff und Bezeichnung führen.

Im Grunde eine Art Meditation.

So isses…


1)Anmerkung 24. April 2024
Heute früh, nach dem Aufwachen, bewegten mich so die verschiedenartigsten gedanklichen Zusammenhänge; und unter anderem fiel mir auf, dass das Zusammenwirken von „Multiplikator“ und „Multiplikand“ dem von Herbert Witzenmann dem in seiner sprachwissenschaftlichen Arbeit „Die Egomorphose der Sprache“ dargestellten Zusammenwirken von „Haltung“ und „Fassung“ entspricht. Man müsste dem nachgehen.
So isses

Raymond Zoller