Die Klamurke Notizen von unterwegs

Rückblick
auf die Anfänge
meiner schriftlichen Selbstgespräche

Notiz vom 22. August 1991. Auch schon lange her…
Die Hefte, aus denen ich zitiere, sind inzwischen längst verschollen…

Einen Anlauf unternommen, die ganz alten Tagebücher zu sichten. Aber nur Anlauf. Als ich mein allererstes Tagebuch, das am 8. Mai.1973 begonnene, in der Hand hielt und darin blätterte, da sank mir der Mut; und ich bezweifelte gar sehr, dass ich die Kraft finden werde, darin zu lesen. Ob ich das nicht doch besser vernichten soll? Wenn das jemandem in die Hände fällt... Für mich selber unter Umständen interessant: zu sehen, wie bestimmte Motive immer wieder auftauchen. Schleim und Schlamm, aus dem aber unübersehbar immer wieder in ersten Ansätzen Kraftvolles sich durchwindet; Keime von Motiven, die sich inzwischen bereits stärker herausdifferenziert haben.

Damals gleich auf der ersten Seite nach den einführenden Zeilen:

"Meine Abneigung gegen das Schreiben ist begründet.

Wohl sehe ich die Gefahr des Wortes, aber ich ahne (weiß), dass ich mit etwas Übung das Wort so weit beherrschen lernen werde, dass es mir eine wichtige Hilfe in meinem Kampf um die Freiheit sein wird."

Und hier kündigt sich tatsächlich ein zentrales (oder sogar: DAS zentrale) Motiv an, das sich dann so im Laufe der kommenden Jahre weiter herauskristallisieren sollte.

Und auch der Schleim und das widerlich sentimentale, in das dieses ganze Echte eingebettet ist, und von dem ich sogar während des Schreibens merkte, dass es Schleim ist und gegen das ich sogar während des Schreibens ankämpfte. Und auch dieses Motiv beginnt gleich auf der ersten Seite:

"Ich habe gemerkt, dass der Weg, den ich eingeschlagen habe, wirklich mit Dornen gepflastert ist.
So langsam gerate ich ins Konstruieren."

- Und im Weiteren dann ausgiebiges Herumhacken auf dieser Entgleisung. Aber die Entgleisungen sind damals noch in der Übermacht; meist geh ich darin unter und kämpf nicht einmal dagegen an; sehr unerquicklich ist es, sowas zu lesen.

Und bestimmte Sätze, die immer wieder in übergroßer Schrift hingekritzelt sind:

"Mein herrschender Trieb ist der Trieb zur Freiheit."

und

"Es gibt keinen Sumpf, der mich halten könnte!"

Das ist nicht sentimental; das ist kämpferisch gemeint. Ich versteh mich damit selbst noch nicht so richtig und werde noch viel weniger von meiner Umgebung verstanden; mehr ein trotzig dahingeworfenes "Manifest".

Dann ein Eintrag vom 21.5.:

"Das Böse...? Schlimme Gedanken?
Ich laufe ihnen nicht davon. Dazu liebe ich sie zu sehr.
Ich weiß: Sie können mich nicht überwältigen.

Die Voraussetzung zum "Bösen" ist da; ich seh es immer mehr. Doch was sind mir diese Gedanken? Ein Spielzeug. Ich spiele mit ihnen, wie ein Riese mit einer Herde Drachen spielt... Manchmal möchte ich Raubtiere bändigen... Ich hab nämlich die Illusion, es zu können.
Mein größter Feind ist die Trägheit."

usw...

Das gefällt mir schon sehr. Sentimental ist das nicht. Obwohl ich damals alles andere als ein Riese war; und auch jenes "Böse" war noch zu harmlos, als dass man es mit einer Herde Drachen hätte vergleichen können. Aber dem Ansatz nach ist das echt.

Aber trotzdem habe ich keine Lust, jetzt weiter in dem Zeugs herumzuschnüffeln. So lang ist das schon her... Vorgeschichte...

Zwischenfliege

Schreiben und Schreibwerkzeuge

3. März 1990

Will man Notizen unmittelbar in den Computer eingeben, so stellt sich zunächst ein ganz bestimmtes Problem: Die Technik dämpft den Gedanken ab.

Zumindest ist das für den Anfang so; bis man die ganzen Handgriffe beherrscht. Vorhin war mir darnach, einen bestimmten Gedanken zu formulieren. Wenn ich dazu auf den Computer zurückgriff, so aus dem Grunde, weil ich meist am besten weiterkomme, wenn ich sofort in die Schreibmaschine reintippe. - Wenn ich nu aber in die Schreibmaschine reintippe, so gibt’s sinnlos herumfliegende Zettel, die ich irgendwo einordnen muß, die im Wege rumliegen oder verloren gehen. Was liegt näher - da man schon mal die Möglichkeit hat -, als für solche Fälle eine eigene Diskette anzulegen? Statt ordner-und stapelweise herumliegende Blätter eine quadratdezimetergroße Platte; auf der zudem alles wohlgeordnet und leicht wiederzufinden ist.

Find ich denn in Ordnung; und nicht einmal unmöglich scheint es mir, dass ich vom handschriftlichen Tagebuch allmählich ganz auf den Computer überwechsle. Die handschriftlichen persönlichen Notizen werden eh immer banaler und nichtssagender; interessant wird's meist erst, wenn ich mich an die Schreibmaschine setze...

[…]

Und in dem Maße, wie die technischen Kniffe zur Routine werden, krieg ich Kapazität frei für schöpferisches Arbeiten.

Ich glaub, dass der Computer mir mit der Zeit ein unentbehrlicher Helfer wird...Ansonsten hat das Niederschreiben dieser Zeilen mich wieder aufgelockert. Auseinandersetzung mit dem "status quo"... Erinnerungen an das maschinengeschriebene "Rebsteiner Tagebuch"... Diese Schreibmaschinenimprovisationen waren für die damalige Entschlussfassung sehr wichtig; möglich, dass ich mich ohne Schreibmaschine gar nicht so hätte durchwurschteln können. Das waren noch primitive mechanische Geräte, mit denen ich heute nicht mehr schreiben könnte.

Die erste eigene Schreibmaschine meines Lebens war jene mechanische Olivetti; kaufte sie mir Anfang 1976 in Lübeck von dem Geld, das ich für meine Fotoausrüstung bekommen hatte; kurz vor dem Aufbruch nach Untermerzbach. Fuffzehn Jahre sind das her...

Ach ja; nun gut...Alles in allem: Spätestens seit jenen Rebsteiner Improvisationen haben Schreibmaschinen in meinem Leben von jeher eine entscheidende Rolle gespielt... Da ist der Computer nur die natürliche Konsequenz...

[…]

Ich könnte nun versuchen, den zur Weiterentwicklung drängenden Gedankenfaden, wegen dem ich mich vorhin an das Gerät setzte und der durch oben formulierte Gedanken dann beiseitegedrängt wurde, wieder aufzugreifen... Die entsprechenden Wörter könnte ich problemlos aktivieren; doch wären das dann halt Wörter; ohne Saft und Kraft; und wozu soll das gut sein? Hä? Nachher sehen wir weiter. Nun erst mal was essen...

Zwischenfliege

Raymond Zoller