Eingang Klamurke Klamurkosophisches

Römisch motivierte unhinterfragte Denkgewohnheiten

Wie die Sprache zur Rhetorik wurde

Römisch motivierte Kulturvernebelung

[…]

Nach den Intentionen des Augustus und seiner Bekenner sollte von Rom […] ein mächtiger Kultus ausgehen, der die ganze Welt benebeln würde, indem er ihr nehmen sollte sowohl die Möglichkeit der Verstandesseele wie die der späteren Bewusstseinsseele.

[…]

Nun hat das, was Verstandes- oder Gemütsseele ist, immer zwei Aspekte. Es ist der eine Aspekt im Wesentlichen jene Seite der Verstandes- oder Gemütsseele, die hinunterneigt zur Empfindungsseele. Sie wissen, wenn wir gliedern, so haben wir Empfindungsseele, Verstandes- oder Gemütsseele und Bewußtseinsseele. Die erste, die sich zunächst entwickelt hat, ist die Empfindungsseele […]. Die Verstandesseele ist diejenige, die sich entwickelt von 747 bis ungefähr 1413 nach Christus - das sind annähernde Zahlen -, und seither ist das Zeitalter der Bewußtseinsseele. Nun ist die mittlere, die Verstandes- oder Gemütsseele, hinneigend auf der einen Seite zu der Empfindungsseele […], wenn sie sich durchdringen will mit dem Alten […].

Den Sinn, der aus der Empfindungsseele heraus gewonnen werden soll, den wollte der Augustus beleben. Was wird denn dadurch, daß man gewissermaßen zurückschraubt die Verstandes- oder Gemütsseele auf den Standpunkt der Empfindungsseele, was wird denn aus dem Teil, der hinneigt - er ist natürlich noch nicht entwickelt, aber er ist da - zur Bewußtseinsseele, aus dem mehr intelligenten Sinn? Man muß die Frage aufwerfen, und im Zeitalter des Augustus mußte sie ja als eine große Kulturfrage aufgeworfen werden: Was geschieht denn mit dem, was sich nach der Bewußtseinsseele hin entwickeln will, wenn man diese Entwickelung abschneidet, wenn man es nicht kommen läßt zur Weiterentwickelung der Verstandes- oder Gemütsseele? Was wird denn dann aus dem in der menschlichen Seele, was hinstreben will zur Bewusstseinsseele?

Was hinstrebt zur Empfindungsseele, das befriedigt man, mehr als es das Maß der normalen menschlichen Entwickelung gestattet, durch den Kultus, den man erneuert.

Was aber gibt man dem, das hinstrebt zur Bewußtseinsseele? Man braucht nur das Wort zu nennen, […] und man wird das Verständnis schon fassen können. Man gibt auf der andern Seite der Seele, die man abfertigen will nach ihrer Empfindungsrichtung hin mit dem Kultus, die Rhetorik, die an Stelle des Durchdrungenseins der Seele mit Substanz, mit innerem Inhalt, nur Schale gibt, die dort, wo lebendige Begriffe walten sollten, nach der Konfiguration der Worte, des Satzbaues strebt.

Ja, unter des Augustus Einfluß wurde in Rom etwas ganz anderes, als früher in Griechenland war. Mag das römische Gewand noch so ähnlich sein dem griechischen Gewand: der römischen Toga sieht man es nicht mehr an, daß man sich in ihrem Faltenwurf fühlt wie der Grieche, der sich drinnen erfühlt hat, sondern man sieht sie an von außen wie das Gewand, das dekorieren soll. Ein Abglanz der Kultusverehrung ist selbst in der Form des Faltenwurfes der römischen Toga im Gegensatze zu dem griechischen Gewand noch erhalten.

Und ein gewaltiger Unterschied würde empfunden werden, wenn man diesen Unterschied nur empfinden wollte, zwischen dem Demosthenes, der stotternd war und der trotzdem durch sein stotterndes Äußere das griechische Wesen zum Ausdrucke bringen sollte - nicht in Rhetorik! -, und den römischen Rhetoren, bei denen es darauf ankam, daß jedenfalls kein Stotterer unter ihnen sei, sondern einer, der die Wortfolge und den Satzbau wohl zu formulieren verstand.

Aus dem augusteischen Zeitalter heraus wollte man der Menschheit auf der einen Seite geben die unverstandenen alten Kulte. Man wollte geradezu anstreben, daß sich die Menschheit ja nicht mit dem Verständnis über die Kulte hermacht, ja nicht frägt: Was bedeutet dasjenige, was im Kultus auftritt? Diese Gesinnung hat sich bis in unsere Zeiten auf den mannigfaltigsten Gebieten erhalten.

[…]

Das ist dasjenige, was man dazumal bewußt erzeugen wollte in Rom: Kultus, ohne zu fragen, was der Kultus für eine Bedeutung hat, ohne sich mit Intelligenz und Wille an den Kultus heranzumachen.

Der andere Pol, der notwendig damit verbunden ist, ist die inhaltslose Rhetorik, jene Rhetorik, die nicht nur dann wirkt, wenn man Reden hält, sondern die zum Beispiel ganz als Rhetorik übergegangen ist in das Corpus iuris des Justinianus, und dann die abendländische Welt überschwemmt hat mit dem sogenannten römischen Recht. Dieses römische Recht verhält sich zu dem, was in den Seelen wirksam sein sollte, welche der Bewußtseinsseelenentwickelung entgegengingen, wie Rhetorik zu seelenwarmem Inhalt. Das ist, was jene fröstelnde Kälte, welche im römischen Recht liegt, über die Welt gebracht hat, daß das römische Recht sich verhält zu dem Seelenwarmen, wie Rhetorik zu dem, was man, wenn man es auch stotternd sagt, aus Wärme und Licht der Seele heraus sagt.

Rudolf Steiner
Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben
GA 184, 15. Vortrag

Raymond Zoller