Klamurke Hypsopsyllus

Sprache und Sein

(R.Steiner)

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Und man kann im heutigen Entwickelungszyklus der Menschheit nicht mehr in passiver Weise abwarten, dass von irgendwelchen, den Menschen ganz ferne stehenden göttlichen Mächten ohne menschliches Zutun eingegriffen werde in die menschliche Entwickelung.

Nun handelt es sich darum, dass man in der Lage ist, solche Dinge an den einzelnen Erscheinungen des sozialen Lebens zu verstehen, auch des Naturlebens, aber wir reden heute von einzelnen Erscheinungen des sozialen Lebens. Ich möchte von einer ganz bestimmten Tatsache ausgehen. Nehmen wir einmal an, irgendwo läßt sich jemand melden, meinetwillen, er schickt seine Karte zunächst; darauf steht: Edmund Müller. Aber was wäre man für ein Mensch, wenn man, nachdem man diese Karte «Edmund Müller» bekommt, denken würde, es kommt ein Müller, der Korn zu Mehl mahlt! Denn vielleicht ist derjenige, der Edmund Müller heißt und sich melden läßt, sagen wir zunächst ein Baumeister oder Professor oder ein Hofrat oder sonst irgend etwas. Nicht wahr, niemand ist in einem solchen Fall berechtigt, aus dem Namen Müller irgend etwas herauszuholen, sondern es handelt sich darum, dass man vielleicht noch gar keine Gedanken faßt, sondern abwartet, was hinter dem Namen Müller steckt, oder aber, man weiß es aus irgendwelchen andern Lebenszusammenhängen heraus, welche Wesenheit, welche wirkliche Lebensentität hinter diesem Namen Müller steckt.

Man sieht in einem solchen Falle ein, wie unrecht man haben würde, aus dem Namen Müller auf den Charakter der eintretenden Persönlichkeit zu schließen. Oder wenn sich irgendjemand meldet, der zum Beispiel «Schmied» heißt, so wird man auch nicht schließen, dass er ein Schmied sei oder dergleichen. Das heißt, wir haben denjenigen Worten gegenüber, die wir als Eigennamen empfinden, das Bedürfnis, durch etwas, was nicht aus dem Namen folgt, dahinterzukommen, mit was oder mit wem wir es eigentlich zu tun haben.

Nun, auch Eigennamen haben in dieser Richtung eine bestimmte Geschichte durchgemacht. Jemand, der heute «Schmied» heißt, hat nichts mehr mit einem Schmied zu tun. Wer „Müller“ heißt, hat nichts mehr mit einem Müller zu tun. Aber die Namen kommen doch ursprünglich davon her, dass in irgendeinem Dorfe in der Zeit, als es noch nicht eine solche Namengebung gegeben hat wie heute, man gemeint hat: der Schmied habe es gesagt; da hatte man aber den wirklichen Schmied gemeint. Oder der Müller hat es gesagt oder getan, oder: Ich habe den Müller gesehen. - Wer in Dörfern gelebt hat, weiß, dass man dort oftmals nicht mit Eigennamen die Leute bezeichnet, sondern dass man sagt: den Schmied oder den Baumeister oder so irgendjemanden habe man gesehen. Also da hatte ursprünglich der Name Veranlassung gegeben, aus ihm heraus, aus dem Worte heraus auf dasjenige zu schließen, was hinter den Worten steckt.

Denselben Weg, welchen solche Eigennamen machen, bei denen wir diesen Weg schon in völliger Klarheit heute überschauen können, denselben Weg machen in der Zeit der Entwickelung, der wir entgegengehen, in der Zeit vom fünften in den sechsten nachatlantischen Zeitraum hinein, alle Worte durch, wird die ganze Sprache durchmachen. Dennoch stecken wir als Menschen heute noch fast über den ganzen Umfang der Sprache hinüber darinnen, unsere ganze Weisheit im Grunde aus der Sprache heraus zu nehmen. Im Grunde verhalten wir uns gegenüber dem weitaus größten Umfang der Sprache so, dass wir aus den Worten auf die Sache schließen. Man kann es nun bequem finden, aus den Worten auf die Sache zu schließen; aber der Gang der Menschheitsentwickelung ist eben ein anderer, und solchen Dingen gegenüber muß man sich so verhalten, wie auch, ich möchte sagen, den Naturerscheinungen gegenüber. In solchen Dingen gibt es objektive Notwendigkeiten. Objektive Notwendigkeiten gibt es ja auch gegenüber der Naturkausalität in dem Gebiete des Lebens, das viele Menschen bloß in einer luftigen Abstraktheit empfinden und auch ausleben. Kommt es doch - ich habe öfters davon gesprochen - sehr häufig vor, dass man sagt: Ja, ich habe dies oder jenes ja nicht gewollt, nicht gemeint, ich habe es anders gemeint, ich habe bei diesem oder jenem diese oder jene Absicht gehabt. - Aber wenn das Kind noch so sehr die Absicht hat, sich nicht zu verbrennen und greift in das Feuer, so verbrennt es sich eben doch. Über die Dinge des Lebens entscheiden nicht die Absichten, die nicht in das Leben untertauchen, sondern nur höchstens jene Absichten, die wirklich in das Leben untertauchen oder eben die Tatsachen und die gesetzmäßigen Zusammenhänge dieser Tatsachen.

An diese Denkungsweise sich zu gewöhnen, das ist vor allen Dingen aus geisteswissenschaftlichen Untergründen heraus im eminentesten Sinne notwendig. Und so muß man sich auch daran gewöhnen, zu denken: So schön es auch wäre, wenn man in bequemer Weise bei den Worten bleiben könnte, so ist es doch so, dass der objektive Gang und die objektive Gesetzmäßigkeit der Menschheitsentwickelung anders sprechen, so sprechen, dass die ganze menschliche Auffassung, das ganze menschliche Seelenleben sich emanzipiert von den Worten, und dass die Worte immer mehr und mehr zu bloßen Gebärden werden, dass sie immer mehr zu dem werden, was hindeutet auf die betreffende Wesenheit, auf die betreffende Sache, was aber nicht mehr die betreffende Sache restlos bezeichnet, restlos etwa erklärt. Wenn man es ernst nimmt zum Beispiel mit geisteswissenschaftlichen Darstellungen, muß daher das eintreten, was man mir so häufig übelnimmt: dass man gar nicht mehr in derselben Weise die Worte gebrauchen kann, wie es in der Gegenwart üblich ist, die Worte und die Sätze zu gebrauchen. Denn, wenn man Geisteswissenschaftliches vertritt, so vertritt man ja heute im eminentesten Sinne eine Zukunftssache, so vertritt man etwas, was in der Zukunft Eigentum der Menschheit werden muß. Da muß man also in einer gewissen Beziehung vorausnehmen, was in der Zukunft eben eintreten soll. Man muß in seinen Willen dasjenige aufnehmen, was in der Zukunft einzutreten hat. Und so muß geisteswissenschaftlich so dargestellt werden, dass ja schon die Worte in einer gewissen Weise gebärdenhaft hindeuten auf das eigentlich Wirkliche, das dahinterliegt. Und da das, was wir heute im Sinne des sozialen Aufbaues denken, wie ich gestern auseinandergesetzt habe, aus dem Geisteswissenschaftlichen herausgeboren werden muß, so ist es auch notwendig, dass gerade bei den dem sozialen Aufbau dienenden Dingen von einem solchen Gesichtspunkt aus gesprochen werde. Das war zum Beispiel, was man bei meinen «Kernpunkten der sozialen Frage» durchaus nicht verstehen wollte.

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Rudolf Steiner in „Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltung“ (GA 199)

Raymond Zoller