[…] Aber auch dieser begierdelose Wille kann durch eine besondere Schulung herangezogen werden. Das geschieht dann, wenn wir nicht bloß das wollen, was in der Außenwelt zu erreichen ist, das, wonach das eine oder das andere Begehren geht, sondern wenn wir den Willen auf unseren Menschen und seine Entwickelung selber anwenden. Das können wir. Wir überlassen uns nur zu häufig dem Leben, wie es uns trägt. Aber man kann auch dann, wenn man der Schule entwachsen ist, das heißt, wenn die anderen nicht mehr die Erziehung besorgen, eine fortwährende Selbsterziehung, eine fortwährende Selbstzucht ausüben. Man kann sein eigenes seelisches Wesen in die Hand nehmen, man kann sich vornehmen, dies und jenes zu erreichen. Man kann sich vornehmen, wenn einen das Leben bis zu einem gewissen Zeitpunkte dahin geführt hat, in diesem oder jenem Gebiete des Lebens sich auszukennen, auf ein anderes Gebiet des Lebens seine Urteilskraft zu übertragen, kurz, man kann den Willen umkehren. Während sonst der Wille immer von innen nach außen wirkt, wie die Begierde das Äußere beherrscht, so kann der Wille umgekehrt werden, nach innen gekehrt werden. Indem wir durch unseren Willen Selbstzucht üben, indem wir versuchen, uns immer besser und besser nach der einen oder anderen Richtung zu machen, wenden wir die eigentliche begierdelose Willenskraft an. Und dasjenige, was Sie in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten ?» und im zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft» finden, das zielt neben dem anderen, was ich schon charakterisiert habe, darauf hin, daß der Mensch eine solche Willenskultur auf sich selber anwende, so daß er immer mehr und mehr, ich möchte sagen, mit seinem Willen in sich selber hineindringt. Dann aber, wenn diese zwei Kräfte zusammenwirken, die aus dem Unbewussten herausgeholte Erinnerungskraft, die dann erfasst den menschlichen Willen, dann weiß sich der Mensch innerlich als Geist, dann weiß er, daß er auf rein geistige Weise innerlich den Geist ergriffen hat, dann weiß er, daß er das nicht durch die Organe des Leibes ausführt. Dann weiß er, wie geistiges Handeln im Geiste ist, dann weiß er, was es heißt: Seele und Geist sind unabhängig vom Leibe.
Man kann nicht beweisen, daß die Seele und der Geist unabhängig vom Leibe sind, denn sie sind es im gewöhnlichen Leben nicht. Im gewöhnlichen Leben ist Geist und Seele vom Leibe durchaus abhängig. Aber in uns lebt ein anderer Mensch, der ist unabhängig, den können wir aus seinen Tiefen heraufholen. Dann zeigt sich uns erst dasjenige, was im Menschen als das Ewige waltet.
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Nachbemerkung Raymond Zoller
Was mich selbst betrifft: durch meine Erziehung wurde ich in solchem Maße vermurxt, daß es mir gar nicht möglich war, mich deren Resultat und dem Leben „so zu überlassen, wie es mich trägt.“ In meinem Sosein war ich mir unerträglich, und meine Umgebung – in der ich materiell verhältnismäßig gut versorgt war – blieb mir fremd. Nach Geist suchte ich nicht; ich musste nur raus aus diesem Sumpf.
Auf solchen erzwungenen Wegen ergaben sich dann Feinheiten, die mir sonst vielleicht verborgen geblieben wären.
Meinen Erziehern sei gedankt.