Klamurke Hypsopsyllus

Sich verdichtender Gedankenaustausch

Von Raymond hab ich noch immer das Bild vor mir: wir beide sitzen so etwa in der letzten Reihe, wenn ich mich recht erinnere: im Klassenraum einer Schule. In Moskau war das. Vorne doziert, auf Russisch, Sergej Prokovjev. Ich verstehe kein Wort. Aber irgendwie, aus welcher Wahrnehmung auch immer, macht sich bei mir der Eindruck breit: Der „Allseits bekannte Anthroposoph“ da vorne hat keine Ahnung von „Philosophie der Freiheit“, er redet in „Hülsen“. – Dann spricht noch jemand; ich glaube, es war Bondarev. Für mich, trotz Fehlens russischer Sprachkenntnisse, ein ganz anderer Eindruck. Das, was er spricht, sind seine „Ergebnisse“. Ich frag Raymond, ob das alles sein kann … Aus seiner Antwort – die ich nicht mehr genau in Erinnerung habe – entnahm ich, dass ich mit meiner Einschätzung in etwa richtig lag. Das war in den neunziger Jahren. Damals war ich, über drei Sommerkurse lang, mit Massagekursen in Moskau beschäftigt; und beschäftigt auch mit Verarbeiten neuer Eindrücke sowie Korrigieren angelernter Perspektiven.

Im Weiteren gab es zwischen Raymond und mir periodisch Gedankenaustausch via Korrespondenz; ein Gedankenaustausch, der nun auf diesen Seiten eine gewisse Verdichtung erfährt. Für mich – ein authentisch gelebter Austausch, dessen wesentliche Schnittmenge sich ergibt aus anthroposophisch angeregten Gedanken und Ideen, aus erlittener Anthroposophie, aus dem Leben an sich. Für mich umso spannender, als für mich Raymond einen Menschentyp repräsentiert, der ohne Netz lebt: Rein auf sich gegründet und unbeirrt seinen Werten authentisch Treue hält.

Ein gemeinsames Buch, nämlich die „Tugenden“ von Herbert Witzenmann, das Raymond ins Russische übersetzte, war mir damals wie heute noch ein sehr nahes Erlebnis. Unter anderem auch deshalb, weil ich einen Sommer lang als Bühnenhelfer am Goetheanum tätig war; und dies war das erste Buch, das ich, neben den Steiner-Werken, dort kaufte und immer wieder las, und das mich bis heute begleitet. Mich hat es sehr beeindruckt, dass Raymond so tief in diese Zusammenhänge eindringt, und den Mut und das Können hat, diese Grundlagen ins Russische zu übersetzten.

Was mich sehr berührt, sind noch die Einblicke, die mir von ihm gewährt werden; die Teilnahme an einem Leben, das sich, für mich, zwischen den Welten Ost -West bewegt, und durch und durch authentisch gelebt wird; aus Perspektiven, die für mich nicht umfassender sein könnten: Beispiele dafür finden sich ua. in den unzähligen Fotographien und Filmdokumenten. Sie bergen für mich, neben ihrer Professionalität, auch noch ungehobenes Potential zur Weiterbearbeitung/Verarbeitung.

Durch meine ehemaligen Kontakte zu „Russland“ und die gegenwärtigen durch Raymond hat sich meine Sichtweise unter anderem auf das gegenwärtige Konfliktgeschehen stark differenziert und lässt sich von keinem „Mainstream“ verbiegen.

Im Grunde leben wir alle, „Westbürger“ wie „Ostbürger“, in einer groß angelegten, politisch-medial zubereiteten Lüge. Lügen darüber was alles, hier und dort, „Gut“ und „Böse“ sei, vorgekaut für die jeweiligen Gruppierungen, Völker, Ethnien, um ja nicht das wirklich, wesenhaft Böse zu erkennen. (Von wem ist das eigentlich inszeniert?) Es wird aus meiner Sicht global ein Krieg in den Köpfen aller Bürger inszeniert; die Deutungshoheit liegt bei der von hierzu befugten Stellen gesteuerten „öffentlichen Meinung“.

So betrachtet bin ich gespannt, was diese Seite „Hypsopsyllus“ für uns alle bringen mag, womit sie gefüllt wird.

Norbert Reininger

Raymond Zoller