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Von virtuellen und weniger virtuellen Räumen

Beim Sichten deutscher Internet-Nachrichtenseiten stieß ich bei ZDFheute auf das Projekt eines Nurflügel-Passagierflugzeugs und dortselbst auf ein Zitat, das gewisse Nachteile dieses Großraum-Nurflüglers relativieren soll, welches aber bei konsequentem Weiterverfolgen des angeschnittenen Gedankengangs darauf hindeutet, daß die ganze Arbeit an jenem Projekt für die Katz ist.

Nämlich kann man da lesen:

Der breite Rumpf bietet allerdings nur sehr wenigen Passagieren den begehrten Fensterplatz. Ob seine Reisegäste jedoch fensterloses Fliegen akzeptieren, ist sich Granzeier nicht so ganz sicher. "Bis der AC20.30 fliegt, sind die Cyberkids von heute erwachsen, und die kennen keine Berührungsängste mit der virtuellen Welt."

Nun isses aber durchaus denkbar, daß jene als Passagiere für jenen Großraum-Nurflügler in Frage kommenden heutigen Cyberkids mitsamt Nachfahren dank ihres Verwachsenseins mit den virtuellen Räumen nicht nur problemlos auf einen Fensterplatz verzichten können, sondern überhaupt: auf jegliches Durchmessen des realen Raumes? Daß dieser reale Raum die kommenden Generationen nicht nur nicht interessiert, sondern darüber hinaus sogar stört? Wozu den Aufwand auf sich nehmen, längere Strecken im euklidischen Raume zurückzulegen, wenn man die Zeit besser nutzen kann, am heimischen Computer-oder Fernsehschirm in den Sinneseindrücken virtueller Räume zu schwelgen? Um auf Hawaii in einem Hotel an einem weniger gut ausgerüsteten Computer sich mit weniger ergiebigen virtuellen Räumen abzufinden? Macht doch keinen Sinn; oder?

Alles in allem: Wenn das Aufgehen in virtuellen Räumen sich so weiterentwickelt, wird das Fliegen bald überflüssig.

Und nicht nur überflüssig, sondern: unmöglich. Denn wer soll diese Flugzeuge dann fliegen und warten; wer soll den Flugverkehr organisieren? So ein Flugzeug besteht aus Unmengen von Einzelteilen, die im realen Raume zusammenwirken, aufeinanderwirken müssen; das Flugzeug selbst bewegt sich ganz real im ganz realen Raume, wo es nix von der Willkür der virtuellen Räume gibt; und wenn man dieses Zusammenwirken und Aufeinanderwirken nicht durchschaut und sich im realen Raume nicht orientieren kann, macht man das Flugzeug – so man es überhaupt in die Luft kriegt – kaputt, und im Gegensatz zu den virtuellen Räumen, wo man dann halt neu anfängt, kriegt man es so leicht nicht mehr ganz, und allfällige beim Kaputtgehen ums Leben gekommene kriegt man nicht mehr lebendig.

Vermutlich führt dieses zunehmende Aufgehen in der Willkür der virtuellen Räume nicht nur zu einem wachsenden Desinteresse an den zu Recht als störend empfundenen Verbindlichkeiten des realen Raumes, sondern auch zu einem (bereits jetzt beobachtbaren) immer stärker werdenden Zurückgehen der intellektuellen Fähigkeiten. – Eine Entwicklung allerdings, die ihrem Wesen nach einen gewissen Grenzbereich in sich birgt: nämlich geht das so lange gut, alsbis die Menschheit so degeneriert ist, daß niemand mehr da ist, der diese ganzen Computer, wenn sie kaputtgehen, reparieren könnte (wenn nicht schon vorher die Lebensmittel ausgehen, um die in virtuellen Räumen schwelgende Menschheit zu ernähren)

Und so die Menschheit dabei nicht zugrundegeht, wird sie wohl irgendwann unter Steinzeitbedingungen wieder ganz von vorne anfangen dürfen.

Raymond Zoller